136 Hufe zu viel by Christa Ludwig

136 Hufe zu viel by Christa Ludwig

Autor:Christa Ludwig [Ludwig, Christa]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Freies Geistesleben
veröffentlicht: 2011-10-04T22:00:00+00:00


Als Bettina eine halbe Stunde später nach ihrer Reitstunde durch die Stallgasse ging, starrte sie entsetzt auf Alberta. Die hatte ihren halben Zopf in der Hand. Die Schleife war noch drin.

Verbesserung

Am nächsten Morgen kam Alberta mit nur noch schulterlangem Haar zur Schule. Sie trug es im Nacken gebunden und nahm die Spange nicht heraus.

«Ich lass es erst mal so», sagte sie. «Meinem Vater zu Ehren. Er war toll! Das ist er nicht oft.»

Es hatte nicht den geringsten Ärger gegeben. Im Gegenteil! Ihr Vater war begeistert, dass sie den bonzigen Weicheiern gezeigt hatte, wie sehr dieses Land ein paar wirklich mutige und tatkräftige russische Spätaussiedler nötig hatte. Auch gegen Grohne-Wiltes Versprechen, Alberta kostenlos reiten zu lassen, hatte er nichts einzuwenden. Zwar nahm er nichts geschenkt, aber Alberta hatte sich das schließlich ehrlich verdient. Nun brauchte sie also Reitkleidung, und ihr Vater bot an, seine Angelausrüstung zu verkaufen.

«Was soll ich hier damit?», sagte er. «Macht nichts als Ärger.» Ihre Mutter war erleichtert. Nichts war ihr lieber, als ihren Mann von der Angel zu trennen. In Kasachstan brauchte man keinen Fischereischein. Wo es Fische gab, durfte jeder angeln. Und das hatte Albertas Vater auch in Deutschland zuerst getan. Zum Glück hatte er bei der Einreise das Gewehr abgeben müssen. Denn in Kasachstan war er zur Jagd gegangen, und wenn er das Gewehr noch gehabt hätte, wäre er – nichts Böses denkend – durch den nahen Wald geschlichen und hätte für den Familientisch einen Bock geschossen. Die Angel nahm ihm niemand, und es gab in Albertas Elternhaus immer noch bedenklich viel Fisch. Das würde nun ein Ende haben. Ihr Vater hatte nun wohl doch eingesehen, dass er sich diesem Land anpassen musste. Und ihrer Mutter war die Verwandlung der Angelausrüstung in Reitkleidung nur zu recht. Alberta würde also am Stall eine Anzeige aushängen: Suche Reitkleidung … denn in Theres’ Hosen passte sie überhaupt nicht hinein und Janas bekam sie so gerade zu, konnte sich aber darin nicht bewegen. Und außerdem – mit Jana war das immer noch schwierig. Sie sprachen nur das Nötigste miteinander.

Jana hatte eine Hoffnung, einen neuen Lieblingsgedanken: Ich werde Alberta longieren, Theres kann das nicht, die hat noch nie ein Pferd longiert, ich bringe Alberta reiten bei, leichttraben, aussitzen, angaloppieren – alles – und wir werden bald, sehr bald wieder dieselben alten Freunde sein wie früher, und das geht dann auch mit Theres.

Niemand vermisste Albertas Zopf, alle bewunderten ihre neue Frisur, obwohl das eigentlich gar keine richtige Frisur war, die Haare waren abgeschnitten, das war alles. Trotzdem, alle fanden, Alberta sehe fantastisch aus, das stimmte auch, doch niemand erkannte den wirklichen Grund. Alberta war glücklich.

Jana war mitten unter denen, die Alberta bewunderten.

«Und wir nageln ihn fest», sagte sie, «ich meine Grohne-Wilte, wir nageln ihn fest auf sein Versprechen. Gleich heute longiere ich dich. Wann kommst du?»

Alberta wich ihrem Blick aus. Ein wenig von der Freude bröckelte ab wie alt gewordene Schminke, ein paar von ihren Bewunderern gingen, und noch ein paar, viel mehr war zu dieser Frisur, die im Grunde gar keine war, auch nicht zu sagen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.