006 - Sternenwende by Hanna Caspian

006 - Sternenwende by Hanna Caspian

Autor:Hanna Caspian [Caspian, Hanna]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: History
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2021-06-30T22:00:00+00:00


April 1931

»Gräfin Gerlinde von Selm«, stellte Feodora die zuletzt eingetroffene Besucherin vor. Die meisten ihrer Gäste kannten sie ohnehin. Die Vorstellung galt eher ihrer Schwiegertochter. Das Schaf kannte kaum jemanden. Zumindest nicht von den Familien, von denen Feodora überzeugt war, dass man sie kennen musste. Manchmal mochte sie glauben, zu Hause auf ihrem Gut in der Nähe von Coburg-Gotha hätte es überhaupt keine Empfänge gegeben.

»Meine Schwiegertochter, Gräfin Malwine von Auwitz-Aarhayn.«

Die beiden Damen begrüßten und setzten sich. Das neue Dienstmädchen fragte nach der Wahl des Getränks und servierte einen Kaffee. Gräfin von Selm ließ sich noch ein Stück Torte bringen.

»Verzeihen Sie bitte, dass ich zu spät bin. Ich komme gerade von einem Treffen des Herminen-Hilfswerks. Es gibt ja so viel zu tun!«

Feodora nickte einsilbig. Mehrere der hier anwesenden Damen betätigten sich in der Wohlfahrt. Aber auch, wenn das Hilfswerk von der neuen Kaiserin gegründet worden war, sah sie selbst keinen Sinn darin, sich für die Armen zu engagieren. Es waren doch die gleichen Leute, die den Zaren und den Kaiser vom Thron gestürzt hatten. Die Arbeiter eben – Revolutionäre, Sozialisten und Bolschewisten. Den Teufel würde sie tun und ihnen auch nur einen Brotkrumen vom Tisch gönnen. Aber mittlerweile wusste sie, dass sie sich mit dieser Einstellung nicht bei allen beliebt machte. Deshalb hielt sie sich bedeckt.

Gerade eben noch hatten sie über so erquickliche Themen wie Hochzeiten und Geburten gesprochen. Wie immer sondierte Feodora, welche Söhne ihrer Bekannten möglicherweise doch noch für Katharina infrage kamen. Leider waren die meisten Männer bereits vergeben. Sie konnte nur noch auf den Tod einer beliebigen Schwiegertochter hoffen. Doch seit die neue Besucherin eingetroffen war, hatte sich die Stimmung merklich geändert.

Die von Selm wusste immer bestens über die wichtigsten Vorgänge in Berlin und Potsdam Bescheid. Sie verkehrte persönlich mit Kaiserin Hermine, wenn diese den Kronprinzen und seine Frau auf Schloss Cecilienhof in Potsdam besuchte. Die zweite Ehefrau des deutschen Kaisers unterhielt regen Kontakt zu den monarchistischen Kräften im Reich. Anders als ihr Mann durfte sie unbekümmert nach Deutschland einreisen. Als die von Selm mit ihrem ersten Stück Torte fertig war, machte sie es sich bequem.

»Ich benötige dringend noch ein paar Damen, die mich beim Sommerbasar unterstützen. Wir sammeln für die bedauernswerten Mädchen, die gerade von der Schule abgegangen sind und nun keine Anstellung finden.«

Alles Faulenzer und Schmarotzer, dachte Feodora. Sie musste sich doch nur anschauen, mit welcher Regelmäßigkeit sie hier die Dienstmädchen austauschen mussten. Es dauerte niemals lange, bis sie kündigten. Selbst in Zeiten wie diesen.

Eine Frau zu ihrer Linken bot sich an zu helfen. Für einen Moment sah Malwine aus, als wollte sie sich andienen. Ein scharfer Blick von Feodora reichte, und sie kauerte sich zusammen. Himmel, schon ein einziges Kind wuchs ihr über den Kopf. Wie sollte sie da noch Zeit für andere Dinge haben? Nikolaus war überaus froh darüber, dass Feodora sich um alles hier kümmerte. Der Name von Auwitz-Aarhayn würde ja vollkommen in Vergessenheit geraten, wenn es sie nicht gäbe.

Gräfin von Selm ließ ihren Blick schweifen. Ganz offensichtlich hatte diese Versammlung eine andere Zusammensetzung als die, die sie gewohnt war.



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