Wenn ein Reisender in einer Winternacht by Italo Calvino

Wenn ein Reisender in einer Winternacht by Italo Calvino

Autor:Italo Calvino [Calvino, Italo]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-12-14T16:00:00+00:00


Die beiden letzten Wünsche sind relativ leicht zu erfüllen und schließen einander nicht aus. Im Cafe, wo du auf Ludmilla wartest, vertiefst du dich in die Lektüre des von Marana übersandten Buches.

In einem Netz von Linien, die sich verknoten

Als ersten Eindruck müßte das Buch vermitteln, was ich empfinde, wenn ich ein Telefon klingeln höre. Ich sage »müßte«, weil ich bezweifle, daß geschriebene Worte auch nur einen Bruchteil davon wiedergeben können: Es genügt keineswegs zu erklären, daß meine Reaktion eine Ablehnung ist, eine Flucht vor diesem aggressiven und bedrohlichen Rufen, aber auch ein Gefühl von Dringlichkeit, von unerträglichem Druck, ja von Nötigung, das mich drängt, dem Befehl des Klingeltons zu gehorchen und hinzustürzen, um zu antworten, selbst wenn ich sicher bin, dadurch nichts als Unannehmlichkeiten und Ärger zu bekommen. Auch glaube ich nicht, daß es mehr als lediglich ein Versuch zur Beschreibung meiner Gemütslage wäre, wenn ich eine Metapher nähme, beispielsweise das stechende Brennen eines ins nackte Fleisch meiner Seite eindringenden Pfeils, und dies nicht, weil es unmöglich wäre, zur Wiedergabe einer bekannten Empfindung auf eine vorgestellte Empfindung zurückzugreifen - denn obwohl heutzutage niemand mehr weiß, was man empfindet, wenn man von einem Pfeil getroffen wird, glauben wir ja doch alle, daß wir's uns ziemlich leicht vorstellen können: das Gefühl, wehrlos zu sein, ohne Schutz, während plötzlich etwas von draußen aus fremden Räumen zu uns hereindringt (und dies gilt ja zweifellos auch für das Schrillen des Telefons) -, sondern vielmehr weil die peremptorische, modulationslose Unerbittlichkeit des Pfeils all jene unterschwelligen Intentionen, Implikationen und Schwankungen ausschließt, die in der Stimme eines Anrufers liegen können, den ich zwar nicht sehe, aber bei dem ich schon, bevor er was sagt, voraussehen kann, wenn nicht, was er sagen wird, so doch zumindest, wie ich auf das, was er sagen will, reagieren werde. Ideal wäre es, wenn das Buch damit anfinge, ein bestimmtes Raumgefühl zu vermitteln: einen Raum, der ganz von meiner Präsenz erfüllt wird, denn um mich herum sind nur leblose Dinge, einschließlich des Telefons, der Raum scheint nichts anderes enthalten zu können als mich, isoliert in meiner inneren Zeit, und dann zerbricht die zeitliche Dauer, der Raum ist nicht mehr derselbe wie zuvor, denn nun wird er erfüllt vom Schrillen des Telefons, auch meine Präsenz ist nicht mehr dieselbe, denn nun wird sie konditioniert durch den Willen dieses Gegenstandes, der da ruft. Das Buch müßte damit beginnen, dies alles nicht als etwas Einmaliges darzustellen, sondern als eine Streuung in Raum und Zeit, ein Sichausbreiten und Vervielfachen dieses Schrillens, das die Kontinuität von Raum und Zeit und Willen zerreißt.

Vielleicht liegt der Fehler in dem Gedanken, am Anfang seien wir beide, ich und das Telefon, in einem endlichen, abgeschlossenen Raum wie etwa in meiner Wohnung; ein zu enger Gedanke, denn was ich vermitteln muß, ist meine Lage im Verhältnis zu einer Vielzahl von Telefonen, die alle klingeln, die vielleicht gar nicht mich rufen, gar keine Beziehung zu mir haben, doch es genügt der Umstand, daß ein Telefon mich rufen kann, um möglich oder zumindest denkbar zu machen, daß sie alle mich rufen.



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