Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg? by Manfred Lütz & Otto Kernberg

Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg? by Manfred Lütz & Otto Kernberg

Autor:Manfred Lütz & Otto Kernberg [Lütz, Manfred & Kernberg, Otto]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
Herausgeber: Verlag Herder
veröffentlicht: 2020-09-13T22:00:00+00:00


7. Lebendige Weltanschauungen:

Früher Atheismus, die blinden Flecken der Neurobiologie und ein Disput über Gott

Sie haben erzählt, dass die jüdischen Riten Sie immer gelangweilt hatten. Wirkte sich die Rebellion auch religiös aus, beziehungsweise wie ging es bei Ihnen sozusagen weltanschaulich weiter?

Ich hatte weiter großes Interesse an der Geschichte des Judentums. Ich las mit großem Interesse Dubnow, das war die klassische jüdische Geschichte.

Da ging es auch um die eigene Identität.

Ja, und ich war weiter an Palästina sehr interessiert. Unter dem Einfluss von Hans Aufrichtig wurde Religion allerdings vollkommen vernachlässigt. Er war an Religion überhaupt nicht interessiert, es gab da sehr wenig Diskussionen. Aber er war ein voll begeisterter Zionist, der uns die große Bedeutung der Wiederherstellung jüdischen Lebens in Palästina eintrichterte. Er war selber nach Palästina gegangen, konnte sich dort aber nicht einleben und kam deswegen zurück nach Chile.

Und haben Sie als jugendlich begeisterter Zionist nicht auch mal überlegt, nach Palästina zu gehen?

Ja, als sich nach der Staatsgründung der 48er-Krieg entwickelte, wollte ich zuerst auch gehen, habe mich dann aber doch entschlossen, in Santiago Medizin zu studieren, und bin nicht gegangen.

Und wie standen Sie in dieser Zeit zum religiösen Judentum?

Ich hatte in Chile mit 13 Jahren noch meine Bar Mitzwa, aber dann kam mit etwa 14 Jahren die Rebellion gegen die Religion. Ich ging zwar noch in die Synagoge, hatte aber Pamphlete von Lenin im Gebetbuch. Ich wusste damals noch nicht, dass ich damit ganz einfach einen Glauben mit einem andern vertauschte. Mit der Zeit wurde ich dann total atheistisch. Als ich 1947 nach dem Abitur im Instituto Nacional in Santiago in die medizinische Hochschule eintrat, waren wir eine riesige Klasse von ungefähr 120 Studenten, von denen etwa 50 Prozent Sozialisten oder Kommunisten, 30 Prozent Christlich-Soziale und 20 Prozent Faschisten waren. Und ich gehörte dabei zu den Kommunisten.

Wie wurden Sie zum Atheisten?

Ich wurde Atheist, ohne mir das eigentlich klarzumachen, in den Jahren, in denen ich Marxismus las. Ich war damals in eine links-zionistische, marxistische Organisation in Santiago eingetreten, die Kinder für den Kibbuz vorbereitete, und die war sozialistisch-marxistisch, pro-kommunistisch und total atheistisch. Nicht aggressiv atheistisch, sondern sie ignorierte einfach die Religion. Aktiv atheistisch, also antireligiös wurde ich erst im Medizinstudium, als ich dort Mitglied der kommunistischen Studentengruppe wurde. Ich war also gleichzeitig Mitglied dieser jüdischen Jugendgruppe, die zionistisch war, und der kommunistischen Studentengruppe und beide waren marxistisch. Ich wurde Spezialist in historischem Materialismus, hielt darüber Vorträge und das setzte natürlich eine ganz klare und bewusste atheistische Einstellung voraus, eine so genannte wissenschaftliche Einstellung zur Moralität, zur Geschichte, zur Soziologie …

Sie wussten plötzlich alles …

Ja, oder sagen wir, auch wenn man nicht alles wusste, wusste man klar, wo alles zu finden war. Man wusste nicht genau, ist dieses Bild nun progressiv oder ist es reaktionär, da musste man nachschlagen, wo es hingehörte: Ein Sonnenuntergang, das ist im Allgemeinen reaktionär. Zwei Arbeiter auf einem Feld, das ist richtig. Gleichzeitig aber hatte ich meine erste Begegnung mit der katholischen Religion, denn Yvonne, in die ich mich im ersten Jahr des Medizinstudiums verliebte, war eine sehr fromme, gläubige Katholikin.



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