Was bedeutet das alles? by Thomas Nagel

Was bedeutet das alles? by Thomas Nagel

Autor:Thomas Nagel [Nagel, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Philosophie, Einführung
Herausgeber: Reclam
veröffentlicht: 1987-03-31T22:00:00+00:00


7 Recht und Unrecht

Angenommen, Sie arbeiten in einer Bibliothek und sind für die Ausleihe von Büchern verantwortlich. Ein Freund bittet Sie, ihn ein schwer zugängliches Nachschlagewerk hinausschmuggeln zu lassen, das er gern besitzen würde.

Sie könnten aus unterschiedlichen Gründen nicht zustimmen wollen. Sie könnten Angst davor haben, dass er geschnappt wird und Sie beide Ärger bekommen Sie könnten wollen, dass das Buch in der Bibliothek verbleibt, da Sie es selbst zu konsultieren wünschen.

Sie könnten jedoch auch der Meinung sein, dass sein Anliegen unrecht ist — dass er das nicht tun sollte und dass Sie ihm dabei nicht behilflich sein sollten. Falls Sie dies glauben, was bedeutet das dann, und was macht — wenn überhaupt — diese Meinung wahr?

Zu sagen, dass es unrecht ist, bedeutet nicht bloß zu sagen, dass es gegen die Regeln verstößt. Es kann schlechte Regeln geben, die etwas verbieten, das nicht unrecht ist — wie etwa ein Gesetz gegen die Kritik der Regierung. Eine Regel kann weiterhin schlecht sein, weil sie zu etwas auffordert, das unrecht ist — etwa ein Gesetz, das in Hotels und Restaurants eine Rassentrennung fordert. Der Gedanke von Recht und Unrecht ist ein anderer als die Idee von einem Regelverstoß oder einer Regelkonformität. Sonst wäre er bei der Bewertung von Regeln, wie auch von Handlungen, nicht brauchbar.

Wenn Sie glauben, dass es unrecht wäre, Ihrem Freund beim Diebstahl des Buches behilflich zu sein, so werden Sie beim Gedanken an die Tat wohl ein schlechtes Gefühl haben: irgendwie wollen Sie es auch dann nicht tun, wenn Sie nur mit Zögern einen Freundschaftsdienst abschlagen. Woher stammt der Wunsch, es nicht zu tun; was ist sein Motiv, der Grund, der dahintersteht?

Es gibt verschiedene Weisen, auf die etwas unrecht sein kann, doch in diesem Fall würden Sie vermutlich erklären, dass die Tat anderen Benutzern der Bibliothek gegenüber unfair wäre, die an der Konsultation des Werkes ebenso interessiert sein könnten wie Ihr Freund, die es jedoch im Lesesaal konsultieren, in dem es für jedermann zur Verfügung steht, der es benötigt. Vielleicht haben Sie auch das Gefühl, dass Ihre Zustimmung Ihre Arbeitgeber hintergehen würde, die Sie gerade dafür bezahlen, dass Sie solche Dinge verhindern.

Diese Überlegungen haben mit den Auswirkungen der Handlung auf andere zu tun — nicht notwendigerweise auf ihre Gefühle, denn möglicherweise erfahren sie nie etwas davon, doch gleichwohl mit irgendeiner Form von Beeinträchtigung. Im Allgemeinen hängt die Idee, dass eine Handlung unrecht ist, von ihrer Auswirkung nicht bloß auf die handelnde Person ab, sondern von ihrer Auswirkung auf andere. Sie würden es nicht gern haben und sich dagegen wehren, falls sie es herausfänden.

Doch nehmen wir an, Sie versuchen all dies Ihrem Freund zu erklären, und er sagt: »Ich bin mir darüber im Klaren, dass der Direktor etwas dagegen hätte, wenn er davon erfahren würde, und vielleicht einige der anderen Benutzer der Bibliothek unglücklich darüber wären, dass das Buch nicht mehr da ist. Doch was soll's? Ich will das Buch haben. Warum soll ich auf andere Rücksicht nehmen?«

Das Argument, die Tat sei unrecht, soll ihm einen Grund geben, sie nicht zu tun.



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