Viele Ziegen und kein Peter by Christian Eisert

Viele Ziegen und kein Peter by Christian Eisert

Autor:Christian Eisert [Eisert, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2016-03-31T22:00:00+00:00


Welcher Mann mäht mir meine steile Böschung mit meinem Fadenmäher? Alle sechs Wochen ca. 2½–3 Stunden.

Gehalt nach Absprache.

Aushang in der Bushaltestelle Krattingen, Dorf

Außer Atem erreichte ich die Bushaltestelle. Der nächste NFB 61 kam in 57 Minuten. Im Schutz des Haltestellenholzhäuschens wechselte ich in ein trockenes T-Shirt, das teure aus Merinowolle, das so atmungsaktiv sein sollte. Meine Nase war vollkommen atmungspassiv. Ich schnappte durch den Mund nach Luft. Beim Scharade-Spielen hätten alle sofort gerufen: »Karpfen!«

Ich streifte im Regen durch die umliegenden Straßen. Alle Cafés und Restaurants waren geschlossen – alle beide. Ich kehrte ins Häuschen zurück, hängte meine Windjacke zum Trocknen über den Rucksack. Und begann die Aushänge zu lesen.

Die »Feldenkrais-Werkstatt« in der Scheidgasse in Aeschi hieß zu »Bewusstsein durch Bewegung« willkommen: »Unter mündlicher Anleitung werden wir oft durch erstaunliche Bewegungsabläufe geführt.« Ich fand das bereits schriftlich sehr erstaunlich.

Das »Heimat- und Rebbau Museum Spiez« lud ein zur Sonderausstellung »Altes neu definiert – Ausbildung für die Landwirtschaft-Festung-Häuser-Kunst«.

Die »Liga Leben und Gesundheit« warnte vor »Gefühlen hinter der Mattscheibe« und bot »Wege aus der Depression« an, die Gärtnerei »Bad Heustrich« passend dazu ein »Vielseitiges Sommerflor für Blumenkistli, Rabatten und Friedhof«.

Außer den Zetteln war ein Kistchen an die Wand gepinnt mit der verwirrenden Aufschrift »Reisnägel«. Da ich keine anderen Verpflichtungen hatte, begann ich die zettelfreien Reißnägel, schweizerisch »Reissnägel«, aus der Wand zu knibbeln und sie in das Kistchen zu legen, dabei inständig hoffend, dass nicht die Frau auftauchte, die einen Mann für ihren Fadenmäher suchte, und mich zwang, Hand an ihrer steilen Böschung anzulegen.

Am Bahnhof Spiez kaufte ich, wie von Amara befohlen, in der Apotheke eine Packung NeoCitran und beim Discounter Denner mein zNacht: Emmentaler, Weggli und Kinderschokolade. Den Verkäuferinnen schmetterte ich ein verschnupftes »Grüezi wol« entgegen, wie ich es in Gstaad gelernt hatte. Mit ganz weit hinten am Gaumen gebildetem L. Beide Damen antworteten: »Grüssech«. Mit ganz weit hinten im Rachen gebildeten -ch, vor dem ein Mischlaut aus a, i und e tönte, für den die Internationale Lautschrift IPA, die alle Sprachen der Welt abbilden kann, wahrscheinlich gar kein Zeichen kennt.

Der Bus der Linie 1 brachte mich an den äußersten Rand von Spiez. Die Haltestelle oberhalb des Sees umgaben Einfamilienhäuser, Scheunen, Ställe und abschüssige Wiesen. Ich musste durch die Wiesen.

Weil sie sehr freundlich meckerten, verweilte ich trotz Regen und Kälte einige Minuten bei drei gefleckten Ziegen am Wiesenhang und zupfte ihnen Grashalme. Dann wurde ich von einem Toyota-Corolla-Fahrer gefragt, ob ich eine Frau mit Hund gesehen hätte. Hatte ich nicht, überlegte aber, ob ich ihn im Gegenzug nach einer Frau mit Engeln fragen sollte. Er war aber schon weitergefahren, und ich verlief mich noch ein bisschen. Was nicht schön war mit Gliederschmerzen.

Vor einem Kuhstall machte ich kehrt, bog in den einzig noch nicht gegangenen Weg ein. Er endete vor einem Gartentor. Das Schild daran zeigte mir, dass ich richtig war.



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