Über Musik by Nikolaus Harnoncourt
Autor:Nikolaus Harnoncourt
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Residenz Verlag
veröffentlicht: 2020-06-15T00:00:00+00:00
Beitrag für die Plattenfirma Teldec, ca. 1970
Die vielen Arten von Cembalo
Das Cembalo ist prinzipiell ein historisches Instrument, dessen Entwicklung mit allen Möglichkeiten im 16. Jahrhundert abgeschlossen war. Im Mittelalter gab es verschiedene hackbrettartige Instrumente, deren Metallsaiten mit Federkielen, die der Spieler in den Händen hielt, angezupft wurden. Schon im 13. Jahrhundert erfand man einen Tastenmechanismus, der die zupfenden Federkiele betätigte, seit dieser Zeit blieb die sehr einfache Mechanik des Cembalos im wesentlichen unverändert. Das Cembalo ist als Musikinstrument durchaus nicht als frühere Entwicklungsstufe des modernen Klaviers anzusehen, sondern als ein eigenständiges Instrument mit abgeschlossener Entwicklung. Die technischen Probleme waren also mindestens ab dem 16. Jahrhundert bereits in vollkommener Weise gelöst und nicht mehr verbesserungsfähig. Das Cembalo, ein technisch und musikalisch völlig ausgereiftes Instrument, kam Ende des 18. Jahrhunderts außer Gebrauch, weil sein Klangprinzip den Forderungen der damals modernen Musik nicht entsprechen konnte. So mußte das Hammerklavier als etwas gänzlich Neues erfunden und entwickelt werden.
Es gehört zum Prinzip dieses Instrumentes, über keine dynamischen Möglichkeiten zu verfügen. Der Spieler hat allen Ausdruck und alles Cantabile (auch auf diesem Instrument war cantables Spiel höchstes Ziel) durch feinste agogische Nuancen zu erreichen. Natürlich muß der Einzelton des Cembalos so interessant und lebendig klingen, daß man keine Sehnsucht nach klanglicher Schattierung fühlt. Die historischen Cembali, viele davon kann man noch hören, werden diesen Anforderungen in idealer Weise gerecht, ihr Klang ist voll und klar.
Es ist interessant, daß das Cembalo schon ab dem 16. Jahrhundert in vielerlei verschiedenartigen Typen zu finden ist. Jede musikalische Nation, jedes eigenständige stilistische Zentrum formte sich ihr besonders charakteristisches Instrumentarium, diese sehr weitgehende Typenverschiedenheit ist von allen Musikinstrumenten sonst nur bei der Orgel zu finden. Manche Instrumente wurden nur in bestimmten Ländern gespielt, andere wurden in einem Land nur für Tanzmusik verwendet, während sie in einem anderen durchaus ›hoffähig‹ waren; das Cembalo wurde überall in Europa gespielt, überall war es als Continuoinstrument Basis und Kern jedes Ensembles, überall wurde es auch als Soloinstrument verwendet. Die Verschiedenheit der nationalen Stile äußert sich hier also nicht in der Bevorzugung oder Ablehnung des Instrumentes als solchem, sondern in einer Mannigfaltigkeit der Modelle, der Bauweisen. Der Klang eines Cembalos kann auf vielerlei Art modifiziert werden: indem die Saitenmensuren länger oder kürzer gemacht werden, das Corpus flacher oder höher gebaut wird, die Anzupfstelle näher oder weiter vom Steg entfernt gewählt wird. Die Form des Corpus kann rechteckig, spitzwinkelig, fünfeckig oder flügelförmig sein, die Saiten können aus Bronze, Messing oder anderen Metallen gemacht werden, die Plektra aus Federkiel, Schildpatt, Leder, Nylon. Man kann mehrere Saitenbezüge aufziehen, die durch ein, zwei oder sogar drei Manuale zum Klingen gebracht werden.
Zwei Zentren des Cembalobaues entwickelten für die kommenden Jahrhunderte gültige Typen: Italien und Flandern. Die italienischen Cembali, primär zur Begleitung von Solisten oder Streichergruppen gedacht, wurden ab der Mitte des 16. Jahrhunderts etwa 200 Jahre lang nach demselben musikalischen Konzept gebaut. Sie waren stets einmanualig und hatten normalerweise nur ein oder zwei Achtfuß-Register, ihr Corpus war sehr langgestreckt (profunde Bässe) und hatte niedrige Zargen (scharfer, durchdringender Klang). Während die Italiener
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