Totengebet by Herrmann Elisabeth

Totengebet by Herrmann Elisabeth

Autor:Herrmann, Elisabeth [Herrmann, Elisabeth]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Goldmann TB
veröffentlicht: 2016-02-14T16:00:00+00:00


25

»Rachel! Warte!«

Vor dem Gebäude holte ich sie ein. Sie wühlte in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel. Ich konnte sie in dem Zustand unmöglich fahren lassen.

»Beruhige dich. Was ist denn so schlimm daran?«

»Er hat mich angelogen!«, schrie sie. »Alle lügen mich an! Du auch! Jeder! Alle!«

»Das ist doch Blödsinn. Gib mir den Schlüssel. Ich fahre.«

»Zur nächsten Polizeiwache? Nein danke.«

Tatsächlich hatte ich einen Moment mit dieser Möglichkeit gespielt.

»Dann gib mir dein Handy.«

»Warum?«

»Weil ich jemanden anrufen will.«

»Wen?«

»Marie-Luise Hoffmann, meine ehemalige Kanzleipartnerin. Ich muss wissen, wie der Stand der Dinge in Deutschland ist. Dann sehen wir weiter.«

»Okay.«

Sie wühlte in den Tiefen ihrer Tasche herum und reichte mir schließlich ein Smartphone. Gerade als ich danach greifen wollte, zog sie es wieder weg.

»Moment.«

Konzentriert tippte sie auf dem Display herum.

»Jetzt.« Die Rufnummer war unterdrückt.

Ich ging ein paar Schritte zur Seite und wählte. Endlich hob Marie-Luise ab. Als sie mitbekam, wer sie gerade anrief, änderte sich augenblicklich ihr Ton von freundlich zu warnend.

»Bist du allein?«

»Nein.«

»Dann ist sie also bei dir.«

Ich drehte mich zum Wagen um. Rachel stieg gerade ein.

»Ja.«

»Okay, hör mir einfach nur zu. Sie haben sämtlichen Fluggesellschaften und dem Bundesgrenzschutz die Hölle heißgemacht. Nichts. Rachel Cohen war gar nicht in Berlin. Zumindest nicht im fraglichen Zeitraum. Zweitausendneun allerdings hat sie ein knappes Jahr hier gelebt. Viele Israelis reisen nach dem Militärdienst erst mal ein Jahr um die Welt, und noch mehr landen in Berlin. Sie war nicht auffällig und hatte einen Job bei einem Start-up-Unternehmen in Rummelsburg, Media Spree glaube ich. Dank ihr hat sich die Außer-Haus-Lieferung von Pizza geradezu revolutioniert.«

»Ist sie sonst noch durch irgendetwas aufgefallen?«

»Damals nicht. Aber aus dieser Zeit gibt es das Passfoto, und das wurde unter anderem der Kantorin aus der Synagoge in der Pestalozzistraße vorgelegt. Sie glaubt sich zu erinnern, dass sie Rachel am Freitag nach dem Schabatt-Gottesdienst vor der Synagoge gesehen hat. Also gerade mal schräg gegenüber von Scholls Antiquariat. Sie soll sich auffällig verhalten haben. Als ob sie auf jemanden gewartet hätte, aber dabei nicht hätte gesehen werden wollen.«

»Sie glaubt …«

»Dann haben wir noch die Aussage von Alexandra Plog, die Rachel ebenfalls gesehen haben will.«

»Die eine glaubt, die andere will gesehen haben. Das ist doch …«

»Vernau, ich tue hier nichts weiter als dir den Hals zu retten. Sie werden über kurz oder lang nachweisen, dass Rachel Cohen in Berlin war und dass sie gegen sämtliche Pass-, Einreise- und Meldegesetze verstoßen hat. Was das für sie nach deutschem Recht bedeutet, muss ich dir nicht erklären. Das BAMF und das Auswärtige Amt sind schon ganz scharf auf sie. Ich bin mir sicher, die Israelis sehen das ähnlich. Allerdings haben die noch weniger Humor als Vaasenburg.«

»Ich werde es ihr ausrichten.«

Durch die Heckscheibe des Wagens konnte ich erkennen, dass die Tatverdächtige den Arm auf meine Rückenlehne gelegt hatte und ungeduldig mit den Fingern darauf herumtrommelte.

»Mir wäre lieber, du tätest etwas ganz anderes«, sagte Marie-Luise. »Halte dich von ihr fern. Du bist der Einzige von euch vieren, der bisher einigermaßen ungeschoren davongekommen ist. Ich hätte gerne, dass es so bleibt.«

Sie schwieg. Wahrscheinlich um mir Zeit zu geben dahinterzukommen, was sie mit ihrer Andeutung meinte.



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