Tage der Wahrheit by Sabine Dittrich

Tage der Wahrheit by Sabine Dittrich

Autor:Sabine Dittrich
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Neufeld Verlag Schwarzenfeld
veröffentlicht: 2017-02-14T00:00:00+00:00


9

Ihr kamen die vier Tage in Prag wie eine lange Zeit vor. Eichberg, ihre Arbeit – alles schien so weit weg.

Doch mit jedem Kilometer, der sie ihrer Heimat näherbrachte, drängte der Alltag zurück in ihr Bewusstsein.

Die lange Fahrt bot endlich die Gelegenheit, Opa Willi ein paar Fragen zu stellen.

»Sag mal, Opa, warum hast du eigentlich ausgerechnet mich mitgenommen und nicht meine Eltern?«

Der alte Herr sah sie überrascht an. »Darauf wäre ich gar nicht gekommen, deine Eltern mitzunehmen.«

»Sollten sie nicht auch über deine Lebensgeschichte Bescheid wissen?«

»Ich habe nach Hildes Beerdigung versucht, mit deinem Vater darüber zu reden. Er hat sich überhaupt nicht dafür interessiert.«

»Wie – nicht interessiert?«

»Er meinte ziemlich ungehalten, ich solle die alten Kamellen aus dem Krieg lieber nicht aufwärmen.«

Sie war sprachlos.

»Weißt du, Mädel, Jael hat mir Kopien der Tonaufnahmen mitgegeben, die sie mit mir gemacht hat. Die können sie sich irgendwann anhören, wenn ich gestorben bin. Oder vorher. Oder auch nie.«

»Ich würde sie gerne hören.«

»Du wirst dabei noch ein paar Details erfahren, auch schlimme. Die Aufnahme ist auf so einem metallenen Stecker drauf, den gebe ich dir zu Hause.«

Opa meinte offensichtlich einen USB-Stick.

»Jetzt muss ich dich aber ebenfalls mal was fragen, Mädel. Hat Hilde dir vor ihrem Tod auch ein ungutes Versprechen abgerungen?«

Woher wusste er davon? Sie zögerte einen Moment.

»Sie hat mich gebeten, für dich zu sorgen, wenn du nicht mehr kannst.«

Das war nicht ganz korrekt. Oma Hilde hatte sie nicht gebeten, sondern ihr eine Art Schwur abgenommen, Opa auf keinen Fall im Stich zu lassen.

»Es ist Aufgabe deiner Eltern, sich um mich zu kümmern, wenn es überhaupt mal so weit kommt. Nicht deine.«

Sie schwieg. Dann musste Opa ernsthaft damit rechnen, in ein Pflegeheim gesteckt zu werden.

Er sprach aus, was sie dachte. »Wenn ich merke, dass ich nicht mehr zurechtkomme, gehe ich freiwillig ins Feierabendheim.«

»Und deine Gartenbahn?«, fragte sie hilflos.

Er lachte. »Meine letzte Reise werde ich ohne Gartenbahn antreten müssen. Ich bin ja auch ohne in diese Welt gekommen.«

»Du hast dir schon alles überlegt?«

»In meinem Alter sollte man sein Haus bestellt haben. Ich bin froh, dass wir beide endlich mal darüber reden können.

Also, Mädel, was immer du Hilde versprochen hast: Es gilt hiermit nicht mehr. Du bist jung, du musst frei sein, um dein Leben zu leben!«

Sie fuhren wieder einige Kilometer, ohne zu reden. Opas Worte hatten ihr gutgetan, eine große Last fing an, von ihren Schultern zu gleiten.

»David sagt, du und Ruth, ihr hättet euch Briefe geschrieben?«

»Das stimmt.«

»Oma Hilde wusste das?«

»Natürlich. Ich habe sie die Briefe immer lesen lassen. Eifersucht ist ein schlechter Ehebegleiter.«

Opa seufzte.

»Ich freue mich schon darauf, Ruth an Weihnachten wiederzusehen. Hoffentlich gönnt der Herrgott uns beiden noch ein bisschen Zeit miteinander.«

»Eher bekomme ich leider nicht frei – die Kita, Renates Urlaub, die irakischen Kinder.«

»Ich weiß. Seit das mit den Flüchtlingen letztes Jahr so richtig losging, muss ich oft an Onkel Přemysl und meinen Aufenthalt in den Schlössern denken. Viele Tschechen im Dorf hätten uns deutsche Kinder am liebsten wieder ins Lager gesteckt – oder gleich gelyncht. Für uns gab es damals wenig Mitleid in der Bevölkerung.



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