Schleier der Traeume by Lynn Viehl

Schleier der Traeume by Lynn Viehl

Autor:Lynn Viehl [Viehl, Lynn]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Paranormal
ISBN: 9783802592539
Google: p4l2mwEACAAJ
Amazon: 3802592530
Herausgeber: Egmont LYX
veröffentlicht: 2014-03-05T23:00:00+00:00


11

Mit einem Schrei erwachte Taire aus dem Albtraum von der dunklen Kammer, und sobald sie begriff, wo sie war, presste sie die Hand an den Mund, um ihr stoßweises Atmen zu dämpfen. Reglos lag sie da und lauschte, bis die Stille sie davon überzeugt hatte, dass niemand zugegen war. Keiner hatte sie gehört; keiner wusste, dass sie sich im Schrank befand. Noch Monate zuvor hätte sie die nächste Stunde über in ihr Kissen geweint, doch sie hatte weder die Tränen noch die Zeit, sich in ihrem Elend zu suhlen. Die Sonne ging unter – das spürte sie sogar im Schrank –, und sie musste aufstehen und in die Gänge kommen.

Zu den für sie am schwersten zu erledigenden Dingen gehörte eine der einfachsten Aufgaben im Leben, über die sie vor dem Verlassen ihres Zuhauses nie nachgedacht hatte: sich gründlich zu waschen. Das Wasser im Hotel war abgestellt, und nirgends in der Stadt konnte eine junge Ausreißerin so einfach eine Dusche benutzen. Sich am Waschbecken einer der wenigen öffentlichen Toiletten mehr als nur die Hände zu reinigen war zu peinlich; Taire hatte das einmal probiert, und eine Touristin hatte das doch tatsächlich fotografieren wollen. Einige Kinder, die auf der Straße lebten, nutzten in Sommernächten mitunter öffentliche Brunnen für eine rasche Dusche, ohne dafür die Kleidung auszuziehen, doch da sie dabei mitunter festgenommen wurden, durfte Taire das nicht riskieren. Nach einem Monat ohne vernünftige Körperpflege war sie dazu übergegangen, ihr eigenes Wasser ins Hotel zu schaffen, jedes Mal ein paar Flaschen.

Heutzutage tranken alle Mineralwasser, und so konnte sie leicht genügend Behälter aus den Abfalleimern der Stadt fischen. Jeden Abend füllte sie drei Flaschen an einem öffentlichen Wasserhahn, steckte sie in die Jackentaschen, trug sie in ihren Unterschlupf und deponierte sie in einem Zimmer im Erdgeschoss. Sobald sie einundzwanzig Flaschen zusammenhatte, reichte das Wasser für ein Bad.

Taire schraubte die Flaschen auf und reihte sie neben die Wanne, in der sie ihr Bad zu nehmen pflegte. Dann zog sie ihre dynamobetriebene Taschenlampe auf, legte sie mit zur Wanne gerichtetem Strahl aufs Waschbecken und streifte ihre Sachen ab. Die kühle Luft ließ sie schaudern, und das kalte Wasser aus den Flaschen machte die Sache nicht besser.

Sie kletterte in die Wanne, schüttete die erste Flasche langsam über den Kopf und fuhr sich dabei mit den Fingern durchs Haar. Die Kälte ließ sie japsen, doch nach der nächsten Flasche war der ärgste Schock vorbei; sie brauchte zwei weitere, um rundum nass zu werden, und ging dann mit einem Fläschchen Shampoo und einem Seifenstückchen, die sie von einem Zimmermädchenwagen gemopst hatte, an die Arbeit. Nach dem Einseifen machte sie sich an die mühsame Prozedur, sich mit einer Flasche nach der anderen abzuspülen.

Beim ersten Mal hatte sie nicht genug Wasser gehabt und noch einen Tag länger mit verschwitztem Haar herumlaufen müssen, ehe sie auch die Haare waschen konnte. Inzwischen hatte sie aus dem Baden eine Wissenschaft gemacht, und wenn die letzte Flasche leer wurde, waren auch Seife und Shampoo weggespült.

Sie schlang sich ein Hotelhandtuch um den Kopf; mit dem zweiten trocknete sie sich ab und rubbelte etwas Wärme in die zitternden Glieder.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.