Rico, Oskar und das Herzgebreche by Steinhöfel Andreas

Rico, Oskar und das Herzgebreche by Steinhöfel Andreas

Autor:Steinhöfel, Andreas [Steinhöfel, Andreas]
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: Carlsen
veröffentlicht: 2010-07-11T22:00:00+00:00


»Wer ist denn da?«, hörte ich den Bühl rufen.

»Tja«, sagte die Frau und sah mich und Oskar dabei fragend an, ohne ihr Lächeln abzustellen, »wer ist denn eigentlich da?«

Bei mir ging immer noch gar nichts, aber Oskar streckte eine Hand aus. »Guten Abend. Ich bin Oskar und das ist Rico.«

Sie schüttelte ihm die Hand, drehte sich um und rief über die Schulter: »Es ist der Kleine von unten, von dem du so viel erzählt hast. Mit seinem Freund und einem Teddybären.«

Sie wandte sich wieder uns zu. »Simon kommt gleich. Er hat die ganze Woche Nachtdienst und –«

»– nur rasch geduscht«, sagte der Bühl und trat direkt hinter ihr aus dem Badezimmer. Seine schwarzen Haare glänzten nass und er hatte nichts an als ein weißes, um die Hüften geschlungenes Badetuch. Er war braun gebrannt, seine krachblauen Augen strahlten wie Winterhimmelsterne, die Narbe an seinem Kinn glänzte, und auf seiner Muskelbrust, genau über dem Herzen, prangte ein Tattoo von einem Skorpion, wie ich ihn aus meinem Tierlexikon kannte. Das hätte ich mir unter anderen Umständen bestimmt gerne näher angeschaut. Aber jetzt, in diesem Moment, beschloss ich, dass eigentlich der Bühl der Skorpion war, der seinen giftigen Stachel in meine und Mamas unschuldige Brüste versenkt hatte.

»Hey, Oskar«, sagte er und grinste. »Hallo, Rico.«

Er war also ein Ehebrecher. Dass er Mama noch gar nicht geheiratet hatte, spielte keine Rolle. Ich hatte mir schon hundert Mal ausgemalt, wie die beiden sich in der Kirche vor einem blumengeschmückten Altar abknutschten, während eine dicke Frau mit einem kleinen rosa Hütchen ein schönes Lied auf der Orgel spielte und Irina sich dabei die Augen ausheulte vor Rührung. Dann strömten alle Gäste raus in den strahlenden Sonnenschein und ich warf Reis oder anderes Gemüse durch die Gegend, und in meinen Augen standen auch Tränen des Glücks, aber gerade nur so, dass sie nicht überlaufen konnten.

Und nun so was.

Eine lächelnde Champagnertussi und ein nasser, halb nackter Bühl.

»Rico?«, sagte er unsicher.

Ich verzog keine Miene. Nicht mehr wegen dem Schock, sondern weil ich Halbitaliener bin. Halbitaliener können sehr würdevoll sein, und jetzt kratzte ich alle Würde zusammen, die ich hatte. Ich würde diesem Ehebrecher einen Brief schreiben, in dem drinstand, dass er sich bei uns nie wieder blickenlassen sollte und dass die Perlenkette wahrscheinlich gefälscht war und dass der Champagner nur vierzehn achtundneunzig gekostet hatte, mit freundlichen Grüßen.

»Wir wollten nicht weiter stören«, sagte ich, »sondern nur gucken, ob Sie wieder zu Hause sind, und Hallo sagen –«

»Hallo!«, sagte Oskar und hob den Arm des Bärchens hoch.

»– aber es ist ja schon sehr spät, Mama würde uns was husten, wir kleinen Schlawiner gehören längst ins Bett, also Wiedersehen.«

Die Frau legte sich eine Hand vor den Mund und drehte sich zur Seite, damit wir nicht sehen konnten, wie sie heimlich losprustete. Sahen wir aber doch, bevor wir im nächsten Moment die Treppe runterstürmten.

»Schönen Gruß an deine Mutter«, rief der Bühl uns nach. »Ich schau morgen mal bei euch rein!«

Ha, ganz bestimmt!

Nur über meine tote Leiche.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.