Rabensommer by Elisabeth Steinkellner

Rabensommer by Elisabeth Steinkellner

Autor:Elisabeth Steinkellner [Steinkellner, Elisabeth]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-407-74610-8
Herausgeber: Beltz & Gelberg
veröffentlicht: 2015-08-19T00:00:00+00:00


Die Müllabfuhr weckt mich. Es dröhnt, poltert, scheppert. Ich kenne das dazugehörige Bild, könnte mir ein schöneres für den frühen Morgen vorstellen. Obwohl der vielleicht gar nicht mehr so früh ist. Kein Zeitgefühl. Der Wagen faucht, rollt quietschend weiter, dann dieselben Geräusche von weiter weg. Dann wieder Quietschen und alles noch einmal, von noch weiter weg. Ich öffne die Augen. Spüre einen Arm schwer auf meiner Hüfte liegen. In meinem Nacken atmet Niels.

»Ooooch, doch nicht die Fenstertypen«, hat Ronja mit gespielter Enttäuschung gerufen, als sie gestern Nacht die Tür geöffnet hat. Ich habe nicht einmal daran gedacht, Niels irgendwie Stress wegen seines späten Auftauchens zu machen, ich war einfach nur froh, dass er überhaupt noch gekommen ist.

Ich bleibe liegen, stelle meinen Blick scharf, lasse die Augen wandern, ohne den Kopf zu bewegen. Fenster offen, ein geleerter Aschenbecher, neben mir ein Bündel Kleidung auf dem Boden. Ich schließe die Augen wieder, warte, aber der Schlaf will nicht mehr kommen. Also rolle ich mich vorsichtig unter Niels’ Arm hervor, Zentimeter für Zentimeter, bis seine Hand aufs Leintuch gleitet. Ich stehe auf, strecke mich, gehe in die Küche.

In einer Schublade steckt ein Zettel: Hola chiquita, wir sind dann mal weg, danke für den schönen Abend! Carpe diem! Daneben ein Smiley und zwei Buchstaben: R&A. Ich sehe mich um. Tassen und Gläser stehen gewaschen neben der Spüle, übrig gebliebenes Essen stapelt sich geordnet auf dem Küchenregal. Der Müllsack ist voll und oben zugeschnürt. Ronja, denke ich und schüttle ungläubig, aber dankbar den Kopf. Wann hat sie das bloß gemacht? Und wie hat sie es geschafft, mich dabei nicht zu wecken?

Ich gehe zum Fenster, lehne mich weit hinaus und sehe in der Lücke, in der wir den Wagen von Ronjas Mutter geparkt hatten, einen anderen stehen. Ich sende Ronja eine Nachricht mit vielen Herzen und Küssen. Dann koche ich Kaffee mit meiner neuen Kanne. Trinke ihn im Stehen, heiß, in kleinen Schlückchen. Und habe mit einem Mal eine Ahnung davon, wie August sich fühlt, wenn er morgens in Rabes Wohnung Kaffee macht. So erwachsen, irgendwie. Da ist niemand mehr, der dein Leben überwacht.

Nach dem Kaffee gehe ich unter die Dusche. Trockne mich ab, schlinge ein Handtuch um die nassen Haare und verzichte auf Kleidung. In einer Ecke sehe ich Elias’ Gitarre lehnen und wundere mich, wie es ihm passieren konnte, sie hier zu vergessen. Ich greife danach, setze mich auf die Couch und schlage vorsichtig einen Akkord an: G. Dann den nächsten: C. Wieder G. Dann E-Moll. Ich singe fast lautlos ... How many roads must a man walk down ... Bin überrascht, dass ich es noch kann. Fünf Akkorde, zwei Lieder. Blowing in the wind von Bob Dylan und Mellow Mood von Bob Marley. Diese beiden Lieder kann ich spielen, seit ich vierzehn bin. Zweimal Bob. Und dreimal darf geraten werden, wer mir die beigebracht hat. (Ronja: »Ich lern doch keine blöden Hippie-Lieder.« Ihre Mutter: »Jetzt sei aber nicht so.« Ich: »Kann ich mal probieren?« Vermutlich hätte mich Ronjas Mutter in diesem Moment am liebsten adoptiert.



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