Psychoanalyse und Zen-Buddhismus by Erich Fromm

Psychoanalyse und Zen-Buddhismus by Erich Fromm

Autor:Erich Fromm [Fromm, Erich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: 9783959120449
Herausgeber: Edition Erich Fromm
veröffentlicht: 2016-01-13T16:00:00+00:00


6. Aufhebung der Verdrängung und Erleuchtung

Was ergibt nun unsere Erörterung im Hinblick auf die Beziehung zwischen der Psychoanalyse und dem Zen? (Wenn ich in diesem Kapitel von „Psychoanalyse“ spreche, meine ich die humanistische Psychoanalyse, eine Weiterentwicklung der Freudschen Analyse, schließe jedoch diejenigen Aspekte der Freudschen Analyse mit ein, die die Grundlage dieser Weiterentwicklung gebildet haben.)

Der Leser wird jetzt davon überzeugt sein, dass die Annahme einer Unvereinbarkeit von Zen-Buddhismus und Psychoanalyse nur aus einer oberflächlichen Betrachtung beider herrühren kann. Im Gegenteil, ihre Verwandtschaft scheint viel auffallender zu sein. Dieses Kapitel soll diese Verwandtschaft im Detail behandeln.

Beginnen wir mit der bereits oben zitierten Feststellung Suzukis über das Ziel des Zen.

Zen ist seinem Wesen nach die Kunst, in die Natur seines Seins zu blicken, und es zeigt den Weg von der Knechtschaft zur Freiheit. (...) Wir können sagen, dass das Zen alle Energien freisetzt, die in jedem von uns richtig und natürlich aufgespeichert, aber unter normalen Bedingungen verkrampft und entstellt sind, so dass sie keinen angemessenen Kanal zur Betätigung finden. (...) Es ist deshalb das Ziel des Zen, uns davor zu bewahren, geisteskrank oder verkrüppelt zu werden. Das verstehe ich unter Freiheit, dass man allen schöpferischen und wohlwollenden Impulsen, die in unseren Herzen schlummern, freien Spielraum lässt. Im allgemeinen sind wir der Tatsache gegenüber blind, dass wir alle notwendigen Fähigkeiten besitzen, die uns glücklich und anderen gegenüber liebevoll machen. (D. T. Suzuki, 1956, S. 3.)

Diese Beschreibung der Ziele des Zen könnte ohne Änderung als Beschreibung dessen verwendet werden, was die Psychoanalyse sich bemüht zu erreichen: Einsicht in die eigene Natur, Verwirklichung von Freiheit, Glück und Liebe, Freisetzung von Energie und Erlösung von geistigem und körperlichem Siechtum.

Diese letzte Feststellung, dass wir vor der Alternative zwischen Erleuchtung oder Wahnsinn stehen, mag bestürzend wirken, wird jedoch meiner Ansicht nach durch beobachtbare Tatsachen bewiesen. Während sich die Psychiatrie mit der Frage befasst, warum einige Menschen geisteskrank werden, lautet die eigentliche Frage, warum die meisten Menschen nicht geisteskrank werden. Wenn man die Stellung des Menschen in der Welt, seine Isoliertheit, seine Einsamkeit, seine Ohnmacht und sein [VI-342] Wissen darum bedenkt, sollte man annehmen, diese Last übersteige seine Kräfte und er müsse ganz wörtlich unter der Belastung „zusammenbrechen“. Die meisten vermeiden ein solches Resultat durch kompensierende Mechanismen wie übertönende Alltagsroutine, Übereinstimmung mit der Masse, Streben nach Macht, Prestige und Geld, Abhängigkeit von Idolen, die man mit anderen in religiösen Kulten teilt, ein aufopferndes, masochistisches Leben, narzisstische Aufgeblasenheit – kurz, indem sie zum Krüppel werden. Alle diese Kompensationen können, wenn sie funktionieren, die geistige Gesundheit bis zu einem gewissen Grad sichern, aber die einzige grundlegende Lösung, die die potenzielle Geisteskrankheit wirklich überwindet, ist das volle, produktive Ja zur Welt, das in seiner höchsten Form Erleuchtung ist.

Bevor wir zum Kernpunkt des Zusammenhangs zwischen Psychoanalyse und Zen kommen, möchte ich noch einige Verwandtschaften ins Auge fassen.

Als erstes ist die dem Zen und der Psychoanalyse gemeinsame ethische Orientierung zu erwähnen. Eine Voraussetzung für die Erreichung der Ziele des Zen ist Überwindung der Gier, sei es Gier nach Besitz oder Ruhm oder irgendeine andere („Begehren“ im Sinne des Alten Testaments).



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