Ostseefunkeln by Marie Merburg

Autor:Marie Merburg [Merburg, Marie]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-7325-9487-0
Herausgeber: Lübbe
veröffentlicht: 2021-02-01T00:00:00+00:00

17. Kapitel

§ »§ 37: Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den allgemeinen Erkältungsgesetzen:

Eine Erkältung ist nur eine Erkältung. Von Männern eigenmächtig erstellte Diagnosen mithilfe von Google – wie schwere Lungenentzündung, Krupphusten, Tuberkulose etc. – werden von der Partnerin grundsätzlich nicht akzeptiert.

Es ist erst dann ein richtiger Schnupfen, wenn man beim Zähneputzen aus Sauerstoffmangel fast in Ohnmacht fällt.

Es ist erst dann ein richtiger Husten, wenn man ernsthaft in Erwägung zieht, im Sitzen zu schlafen.

Ein Mann ist erst dann ernsthaft krank, wenn er beim Angebot auf Sex abwinkt und angewidert das Gesicht verzieht.

Hat eine Frau im Winter angenehm warme Hände und Füße, ist sie höchstwahrscheinlich hochgradig ansteckend.«

aus »Lauras Gesetzbuch des Lebens«, Abschnitt Erkältungsparagraphen

Die nächsten Tage verliefen zur Abwechslung ohne Katastrophen oder peinliche Begegnungen mit der Polizei. Selbst zwischen Tante Gerti und mir herrschte ein geradezu erschreckendes Ausmaß an Harmonie und Verbundenheit. Meine Tante hatte all ihre Termine abgesagt und zeigte mir die Insel. Ihre Freundin Ariane war so nett, uns ihr Auto zu leihen, da sie den Oldtimer ihres Freundes benutzen konnte. So waren wir nicht mehr auf einen Chauffeur angewiesen, und unsere Ausflüge gestalteten sich deutlich einfacher. Wir machten eine Wanderung durch die Zickerschen Berge auf der Halbinsel Mönchgut und sahen uns die Leuchttürme am Kap Arkona und das direkt danebengelegene Fischerdörfchen Vitt an. Tante Gerti zeigte mir bei Sagard auch den »Dobberworth«, eines der größten Hügelgräber Norddeutschlands mit fünfzehn Metern Höhe und hundertfünfzig Metern Umfang. Meine Tante war der Überzeugung, man könnte die spirituellen Schwingungen dieser Begräbnisstätte ganz deutlich spüren. Bei mir schwang da nix. Für mich sah das lediglich aus wie ein großer Hubbel in der Landschaft.

Wenn wir gerade nichts unternahmen, saß Tante Gerti draußen auf der Terrasse, beobachtete die Wolken und starrte hinaus auf die Wellen des Jasmunder Boddens. Nach all ihrem Aktivismus und der stetigen Unruhe war es befremdlich, sie plötzlich so still und nachdenklich zu sehen. Wenn ich sie fragte, was sie denn beschäftigte, lächelte sie nur und meinte, ich solle mir keine Sorgen machen. Sie würde sich nur mal wieder die Zeit nehmen, ihr mentales Fotoalbum herauszuholen und sich die Erinnerungsbilder ihres Lebens anzuschauen. Dagegen konnte ich nicht viel sagen. Schließlich befand ich mich selbst auf Sinnsuche. Es schadete gewiss nicht, ab und an auf der rasanten Fahrt durchs Leben innezuhalten und über den bisher zurückgelegten Weg nachzudenken. Deshalb setzte ich mich auch oft zu ihr, und wir hingen gemeinsam unseren Gedanken nach. Jeder für sich, aber trotzdem zusammen. Das fand ich irgendwie schön.

Ich konnte nicht leugnen, dass mich meine Zeit auf Rügen verändert hatte. Wobei ich diesbezüglich gemischte Gefühle hatte. Zwar hatte ich mich nach einer Veränderung gesehnt, aber gleichzeitig machte sie mir auch Angst. Früher hatte ich meine Emotionen immer unter Kontrolle, sowohl beruflich als auch privat. Seit meinem Ausraster mit dem Brautkleid fand ich zu der »abgeklärten Laura« jedoch nicht mehr zurück. Irgendwie schienen mir meine Selbstbeherrschung, Disziplin und Zielstrebigkeit abhandengekommen zu sein: Ich war nicht nach Frankfurt zurückgekehrt, wollte urplötzlich einen Hund adoptieren, hatte Tante Gerti unbarmherzig die Meinung gesagt, und neuerdings dachte ich auch noch viel zu oft an einen gewissen Tierarzt.

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