Oona und Salinger by Beigbeder Frédéric

Autor:Beigbeder, Frédéric [Beigbeder, Frédéric]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Tags: Roman
ISBN: 9783492054157
Herausgeber: Piper Verlag
veröffentlicht: 2015-03-09T00:00:00+00:00

20. Mai 1942

Lieber Jerry,

ich werde versuchen, ausnahmsweise einmal nicht allzu kompliziert zu sein. Du weißt, dass es mir schwerfällt, mündlich auszudrücken, was ich auf dem Herzen habe. Schriftlich wird das vielleicht klarer sein, aber die erste Lektüre wird Dir grausam erscheinen, und das bedauere ich unendlich. Lies meinen Brief, sooft wie es sein muss, jedes Wort darin ist so wohlüberlegt, dass ich ihn schon auswendig kann.

Entschuldige, dass ich Deinen Gefühlen nicht gewachsen bin.

Ich lebe jetzt mit meiner Mutter in Los Angeles.

Es ist nicht so, dass ich mit siebzehn Jahren mein Leben neu beginne, aber fast.

Ich beginne einfach mein Leben, mein Leben beginnt jetzt gleich.

Ich spüre, dass Du Dich auf mich konzentrierst, weil Du fern bist, weil Du Angst hast, und ich habe ebenfalls Angst, dass wir uns nicht verstehen.

Und doch hat etwas zwischen uns aufgehört.

Du weißt, dass ich Dich bewundere, dass Deine Originalität mich aufwühlt und dass ich keinen einzigen mit Dir verbrachten Augenblick bereue, selbst als Du mich am Schlafen gehindert und mir stundenlang Texte vorgelesen hast!

Auch du spürst, hoffe ich, sicher, dass Schluss ist zwischen uns. Das ist so obvious. Wenn Du es nicht siehst, dann weil Du es nicht sehen willst oder weil Du vorgibst, weniger intelligent zu sein, als Du bist.

Ich hasse es, einen Helden der amerikanischen Armee schriftlich in einem Brief daran erinnern zu müssen. Der nahende Krieg sollte mich dazu verleiten, Dich zu belügen. Aber ich kann das nicht mehr. Nicht Dich und nicht jetzt. Du weißt, dass das schrecklich von mir wäre. Ich kann nicht weiterleben und Dir die geringste Hoffnung lassen, während Du Dich bereitmachst, Hitler zu stürzen.

Es ist over, Jerry: Auch wenn der Satz literarisch mittelmäßig ist, so sagt er doch die Wahrheit.

Du wirst immer zu meiner Vergangenheit gehören, aber du gehörst nicht mehr zu meiner Zukunft.

»Wir teilten miteinander die kostbare Vergangenheit, die keine Schilderung je wirklich fassen konnte.« Dabei weißt Du doch gut, dass Mrs Willa Cather immer recht hat? Endlich habe ich begriffen, was sie meint: Was wir erlebt haben, wird nie verschwinden. Es ist für immer da, und ich werde es nicht vergessen. Unsere Begegnung, unsere Tänze, unsere Lieder, unsere Lektüren und unsere Erinnerungen werden nicht verfliegen.

Was für eine schreckliche Sache diese Klärung ist.

Ich will nicht, dass Du unter einer Trennung leidest, die Pearl Harbor bewirkt hat.

Aber ich will nicht mehr, dass Du mir schreibst, als wäre ich deine Verlobte oder künftige Frau.

Ich bin untröstlich. Und hässlich und blöd und vielleicht sogar … verliebt in einen anderen. Schaff mich Dir vom Hals, vergiss das kleine Biest vom Central Park, die gemeine Debütantin des Jahres. Ich bin Deines Mutes unwürdig. Dieser Brief ist das erste Zeugnis von Tapferkeit in meinem kurzen Leben einer antisemitischen Irin. (Ich scherze.)

Ich nehme Haltung an und sage Dir: »Rührt euch, ihr könnt wachsen.«

Pass auf Dich auf, stirb nicht, geh keine unnötigen Risiken ein. Du musst leben, um ein großer amerikanischer Schriftsteller wie mein Vater zu werden.

Forgive and forget,

Oona

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