Niceville - Stroud, C: Niceville - Niceville by Carsten Stroud

Niceville - Stroud, C: Niceville - Niceville by Carsten Stroud

Autor:Carsten Stroud [Stroud, Carsten]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Tags: Spannung
ISBN: 9783832186210
Herausgeber: DuMont Buchverlag GmbH
veröffentlicht: 2014-06-10T22:00:00+00:00


Merle Zane fährt mit dem blauen Bus

Der Blue Bird Bus – ein vor langer Zeit hellblau lackierter Schulbus – bog keuchend in den Button Gwinnett Memorial Bushof in der Innenstadt von Niceville ein und kam mit einem Kreischen schlechter Bremsen unter dem Blechdach zum Stehen.

Der Fahrer, ein älterer, aber irgendwie militärisch wirkender Schwarzer mit gelblichen Augen und schneeweißem Haar, drehte sich auf seinem Sitz um und zeigte seinen Passagieren lächelnd einen Mund voller Goldzähne.

Es waren etwa zwei Dutzend Arbeiter in grober Kleidung und mit wettergegerbter Haut, alte und junge, schwarze und weiße, die entweder schon im Bus gesessen hatten, als dieser an der Einfahrt zur Plantage der Ruelles gehalten hatte, oder in Sallytown oder Mount Gilead zugestiegen waren. Einige hatten auch einfach irgendwo an der Straße gestanden und dem Fahrer ein Zeichen gegeben.

»Niceville«, sagte er, stand auf und machte routiniert seine Ansage. »Endstation. Wer heute Abend wieder zurückfahren will, ist um elf Uhr hier am Bussteig. Die meisten Plätze sind schon vergeben, wir sind voraussichtlich voll besetzt, also seht zu, dass ihr euren Rückfahrschein beim Aussteigen abstempeln lasst, sonst kriegt ihr für den Rückweg keinen Platz. Es ist ein langer, weiter Weg im Dunkeln, und viele verlaufen sich. Und jetzt Gottes Segen und viel Spaß in Niceville.«

Nach fünf Stunden Fahrt über schmale, gewundene Landstraßen schmerzte Merles Rücken, und seine Wunde pochte. Er stand langsam auf und nahm seine Tasche, einen alten Beutel der US-Army, den Glynis Ruelle ihm geliehen hatte. Er schlurfte hinter den anderen Männern her durch den Mittelgang, wobei seine Stiefel auf dem Bodenblech klapperten.

In der Tasche waren Wechselwäsche und ein geladener .45er Colt Commander von 1911 sowie zwei Ersatzmagazine. Glynis Ruelle hatte keine Munition für seinen 9-mm-Taurus finden können, wohl aber mehrere Schachteln mit Patronen für den Colt.

Das Gewicht der Tasche war beruhigend – immerhin befand er sich hier mitten in Charlie Danzigers Territorium.

Zuvor hatte es kräftig geregnet, doch als er aus dem Bus stieg, klarte der Himmel auf. Merle stand auf den Holzbohlen des Bussteigs und spürte die Kraft des nach den vielen Niederschlägen angeschwollenen Flusses jenseits des Bushofs.

Im Bushof roch es nach Feuchtigkeit und Schimmel, nach Zigarren und Zigaretten und faulendem Abfall. Hinter den Türen lag Niceville, eine altmodische, verblühende Stadt, überspannt von einem schwarzen Netz aus Strom- und Telefonleitungen.

Sie wirkte wie irgendeine Kleinstadt voller schmaler Straßen. Spitze Kirchtürme überragten das Gewirr der Dächer, Balkone mit filigranen schmiedeeisernen Geländern erzeugten, gestützt von verzierten gusseisernen Pfeilern, schattige Arkaden, die sich ganze Blocks weit hinzogen.

Das Licht, das durch die sich auflösenden Wolken drang, war dunstig und diffus und ließ Niceville aussehen wie ein Kalenderbild aus der Vorkriegszeit. Die feuchte Frühlingswärme erfüllte die ganze Stadt mit dem erdigen Aroma eines frisch ausgehobenen Grabes.

Vielleicht lag es daran, dass er sich so eigenartig fühlte, dass er todmüde war, dass die Angst und die Schmerzmittel ihn fix und fertig machten, aber es kam ihm so vor, als herrschte in Niceville eine seltsame Atmosphäre, als wäre in oder hinter oder unter der Stadt eine Kraft am Werk, wie von einem Starkstromkabel oder einem unterirdischen Fluss, und diese Kraft war nicht freundlich.



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