Märkische Forschungen. Erzählung für Freunde der Literaturgeschichte by Günter de Bruyn
Autor:Günter de Bruyn [de Bruyn, Günter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104032436
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2014-08-28T16:00:00+00:00
Zehntes Kapitel
Klein-Winnie
Diktaturen der Mode wirken wie andere auch: Erst zwingen sie zur äußerlichen Unterwerfung, dann folgt, nach einer Periode der Gewöhnung, die Verinnerlichung. Was einst Zwang war, wird nun freier Wille. Was einmal ungewöhnlich, häßlich, komisch wirkte, ist nun schön. Bei einem geht das langsamer, beim andern schneller, manche werden sich des Wechsels kaum bewußt und wissen gar nicht, wie willfährig sie dem Zeitgeschmack gehorchen. Besonders wenn man alte Bilder, alte Filme sieht, von denen nicht zu leugnen ist, daß sie einmal dem eignen Schönheitssinn entsprochen haben, packt den das Grauen, dem Autonomie des Denkens und des Fühlens etwas gilt. Andere finden alles Unmoderne immer wieder einfach komisch und leben allezeit in dem Gefühl, nicht modisch, sondern richtig zu empfinden.
Einmal nur, als Kind, wächst man in aller Unschuld in eine Mode hinein, die man natürlich für die einzige und richtige nimmt. Der erste Wechsel, der bewußt erlebt wird, ist bedeutsam. Man wirft das Alte weg, es gilt dann als Geschmack der Väter, als überholt, verächtlich, später lächerlich, man greift begierig nach dem Neuen, dem Eignen, wie man meint, man revoltiert – und ist in Wahrheit doch schon wieder Konformist. Der alten Diktatur sagt man den Kampf an, weil man sich der neuen schon wieder unterworfen hat.
Nun lebt man heutzutage aber länger als die Moden, und sehr viel Anpassungsfreudigkeit gehört dazu, in jeder wieder mitzutun. Das kann nicht jeder. Bei den meisten hat Labilität doch ihre Grenzen, die bleiben dann bei der erreichten zweiten Phase stehen und versuchen später, bei neuen Wechseln nur mit Variationen auszukommen. Da Mode nur in Beziehung zu anderen einen Sinn hat, gelingt das am besten, wenn man einsam lebt, nach andern nicht fragt oder mit Leuten umgeht, die so wenig Zeit für Modefragen haben wie man selber.
Pötschs dunkler Anzug hatte ihm seit mehr als zehn Jahren bei Jugendweihen, Konfirmationen, Beerdigungen, Tanzvergnügen und Familiengeburtstagsfesten gut gestanden. Jetzt entdeckte Elke plötzlich, daß er auf keinen Fall mit diesen engen Hosen, diesen spitzen Schuhen, mit diesem Schnürsenkel von Krawatte zu Menzel gehen konnte. Erst wurde er gereizt und wollte gar nichts davon hören, dann unsicher, und schließlich bat er sie, zum Einkauf mit ihm in die Stadt zu fahren. Groß war die Auswahl nicht, nur weniges gefiel ihm, und das war nicht in seiner Größe da. Müde und verärgert kamen sie am Abend aus Beeskow zurück und fuhren Tage später nach Berlin, wo sie von einem Geschäft zum anderen hetzten, um schließlich das zu kaufen, was sie im ersten schon gesehen hatten: einen Anzug und ein langes Kleid. Während Elke abends mal dies, mal jenes anprobierte, auch Spaß daran hatte, das Schminken wieder zu üben, zog Pötsch die neugekauften Sachen erst an Menzels Festtag wieder an und fühlte sich verkleidet wie ein Clown.
Um vier Uhr kam das Taxi, um das feingemachte Paar zur Bahn zu fahren. Die Kinder fanden ihre Eltern komisch. Mutters Parfümduft nannten sie Gestank. Omama schüttelte besorgt den Kopf ob dieser Extratouren, die nie Gutes brächten. Pötsch hatte eine große Reisetasche mit. Neben dem sauber geschriebenen
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