Leere Herzen by Zeh Juli

Leere Herzen by Zeh Juli

Autor:Zeh, Juli [Zeh, Juli]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Luchterhand
veröffentlicht: 2017-10-09T22:00:00+00:00


17

Am nächsten Abend gibt es Streit mit Richard. Britta hat kurz zu Hause vorbeigeschaut, Vera bei den Hausaufgaben geholfen und Richard gesagt, dass sie noch zu einer dienstlichen Verabredung muss.

»Heißt das, du bist zum Abendessen schon wieder nicht da?«

»Es ist nur heute.«

»Gestern auch.«

»Das war ein Notfall.«

»Wie wäre es, wenn du mal wieder kochst? Wie neulich? Das war doch schön.«

Seit Neuestem flicht er Anspielungen in ihre Gespräche ein. Ob sie am nächsten Tag Vera zur Schule bringen könne. Ob es nicht möglich wäre, dass sie sich auch mal um den Garten kümmert. Oder er fragt sie, wie es ihr gehe. Ob ihr Magen wieder Probleme macht. Sagt, dass sie müde aussieht.

Britta ärgert sich darüber. Seit Jahren ernährt sie die Familie, und nur, weil plötzlich dieser Hatz auftaucht, soll sie umstandslos in Rente gehen. Als ob ihre Arbeit immer nur eine Übergangslösung gewesen wäre, ein Provisorium bis zu dem Tag, da Richard endlich Geld verdient! Als ob man die Brücke wie eine Lampe an- und ausknipsen könnte!

»Du musst ja nicht aufhören«, sagt Richard. »Es geht doch nur um ein Sabbatical.«

Am liebsten würde sie erwidern, dass sein Swappie, ganz egal, ob es eines Tages Geld bringt oder nicht, doch nur ein weiteres Spielzeug für die Finanzmarkt-Arschlöcher ist. Ein Tool, um die Welt noch ein bisschen schlechter zu machen. Während ihre Arbeit die Welt besser macht. Wer heutzutage einen Attentäter braucht, muss nicht mehr auf verblendete Djihadisten mit narzisstischer Störung zurückgreifen, nicht auf halbe Kinder mit Waffen-Fetisch oder auf Psychopathen, die Ausländer und Frauen hassen. Sondern bekommt einen professionell ausgebildeten, auf Herz und Nieren geprüften Märtyrer, der für eine höhere Sache sterben will. Die Brücke hat den Terroranarchismus beendet. Es gibt feste Absprachen und kontrollierte Opferzahlen. Nach und nach hat sich die Branche auf dieses Geschäftsmodell eingelassen. Routiniert berichten die Medien über erfolgreiche Attentate, zeigen Bilder von Sicherheitskräften in Uniformen und befragen Politiker, die betonen, dass die Gefährdungslage nach wie vor hoch, aber kein Anlass zur Panik sei, während ihre Sachbearbeiter das nächste Sicherheitspaket auf den Weg bringen. Der Grad an Hysterie ist erheblich gesunken. Es ist nicht ganz leicht in Worte zu fassen und doch ziemlich offensichtlich: Seit es die Brücke gibt, sind Selbstmordattentate weniger schick. Die Zahl der frei flottierenden Nachahmungstäter ist praktisch auf null gesunken. Stattdessen hat das Crash-Fahren erheblich zugenommen, die Zahl der Opfer liegt längst über den Terrortoten. Britta und Babak haben oft darüber gesprochen: Jede industrialisierte Gesellschaft scheint eine bestimmte Menge Amok zu brauchen, während die Erscheinungsform nur eine Frage der jeweiligen Mode ist. Sechzehnjährige, die mit Pumpguns in die Schule rennen. Zwanzigjährige, die sich mit Sprengstoffgürteln in die Luft jagen. Achtzehnjährige, die auf der Autobahn mit verbundenen Augen das Gaspedal durchdrücken. Ein Anrennen gegen die Mauern einer monolithischen Ordnung. Der blinde Fleck im System. Eine juckende Stelle, die jede Gesellschaft braucht, um sich gelegentlich ausgiebig zu kratzen. Die Brücke ist Teil eines natürlichen Kreislaufs aus Krieg und Befriedung und erneutem Krieg. Für Britta reicht das, um zu wissen, dass ihre Arbeit Sinn ergibt. Es geht immer um ein Gleichgewicht der Kräfte, um ein Ausbalancieren von Chaos und Ordnung, Sauberkeit und Schmutz.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.