Kinder und Krieg by Alexander Denzler Stefan Grüner Markus Raasch

Kinder und Krieg by Alexander Denzler Stefan Grüner Markus Raasch

Autor:Alexander Denzler,, Stefan Grüner, Markus Raasch
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter De Gruyter
veröffentlicht: 2016-07-15T00:00:00+00:00


V. Der Vater ist tot: Leid und Stärke der Mutter

Nur die älteren Interviewpartnerinnen und -partner meinen, sich präzise daran erinnern zu können, als ihre Mutter die Todesnachricht erhielt. Dabei handelt es sich vielfach um so genannte ‚Blitzlicht-Erinnerungen‘ (flashbulb memories), denen in der Forschung nicht nur eine primäre und lebendige Qualität zugesprochen wird, es ist auch von ihrer erstaunlichen Beharrlichkeit die Rede. Sie stellen eine spezifische Form des autobiographischen oder episodischen Gedächtnisses dar, welches darin besteht, sich genau zu erinnern, wo man gewesen ist und was man gerade tat, als einen die Nachricht von einem bedeutsamen historischen Ereignis erreichte. Als Auslöser für Blitzlicht-Erinnerungen gelten vor allem einschneidende Veränderungen, die die Zeitzeugen unvermittelt treffen und dem eigenen Leben eine unerwartete Wendung geben.1104 Zugleich ist der Begriff aber auch kritisch zu betrachten, denn gerade dramatische Ereignisse wie Todesfälle werden als Schlüsselmomente im Familiengedächtnis oft erzählt. Es ist nicht zuletzt die Intensität und Häufigkeit, mit der Mütter mit ihren Kindern im Sinne des ‚Memory Talk‘ über Erlebtes sprechen, die den Kindern die Bedeutung eines Ereignisses vermittelt.1105 Ilse Müller, die 1936 im bayerischen Sandelzhausen geboren wurde, z.B. erinnert sich an die Situation, als die Todesnachricht ihres Vaters kam, „als ob es gestern gewesen wäre“. In ihrer Erzählung ist die Tatsache präsent, dass ihre Mutter das offizielle Schreiben, das – anders als vorgesehen – nicht durch den NSDAP-Ortsgruppenleiter, sondern einfach als Postsendung überbracht worden war, gleich erkannte und dass sie selbst als sechsjähriges Mädchen von den Großeltern sofort angewiesen wurde, den Raum zu verlassen.1106 Im Mittelpunkt der weiteren Erzählung von Ilse Müller steht jedoch das Leid der Mutter und weniger ihre eigene Trauer bzw. die Tatsache, dass sie zunächst im Unklaren über die Nachricht gelassen wurde. „Die Mutti“, wie Ilse Müller ihre Mutter in kindlicher Sprache nennt, sei ganz elend und krank gewesen, sie habe nichts mehr gegessen und hätte ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Zwar habe „die Mutti“ dann später auch noch geweint, doch habe sie sich „irgendwie berappelt“ und sei für ihre Tochter dagewesen. 1107

Das Erzählmotiv vom Leid der Mutter und ihrer vorübergehenden Schwäche scheint auch in der Erzählung von Inge Bude auf. Ihre Mutter, ehemals Büroangestellte, wurde mit den drei Kindern wegen der Luftangriffe auf Berlin 1943 in ein polnisches Dorf evakuiert, wo sie die Todesnachricht ihres Ehemannes im Jahr 1944 erhielt. Ihre Mutter habe daraufhin einen Schock erlitten. Doch danach habe die Mutter für ihre Kinder wieder „wie eine Löwin gekämpft“.1108 Die nach tiefem Leid wiedererlangte Stärke der Mutter hatte allerdings auch einen Preis, wie Christa Weber erzählt, die 1941 in Berlin geboren wurde und 1942 wegen der Luftangriffe mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder zu Verwandten nach Niedersachsen zog. Wichtig sei nach der Todesnachricht gewesen, der Mutter, die nun die Witwe eines Prokuristen der Reichsumsiedlungsgesellschaft war, nicht noch mehr Kummer zu machen – so wurde es Christa Weber zumindest von ihrer Umwelt suggeriert:

„Die Tante Trude hat ja auch mal zu mir gesagt, das weiß ich wie heute, im Garten haben wir da gesessen im Sommer, dass sie gesagt hat, ich



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