Henoch und der Tempel des Todes by Mirjam Judith Bokhorst

Henoch und der Tempel des Todes by Mirjam Judith Bokhorst

Autor:Mirjam Judith Bokhorst
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2021-07-01T17:46:02.508000+00:00


4.4.3

Fazit

Alles in allem hat die Textanalyse von 1 Hen 71 und der Vergleich mit Henochs Vision von den beiden Häusern in 1 Hen 14,8–25 gezeigt, dass der Einfluss dieser Passage des Wächterbuches auf das letzte Kapitel der Bilderreden insgesamt geringer einzuschätzen ist, als in der Forschung bisher vermutet wurde. Zwar geht die generelle Vorstellung des Hauses in 1 Hen 71,5–9 auf die Schilderung der beiden Häuser in Henochs Traumbericht zurück, jedoch wurde sie sehr frei und oberflächlich rezipiert, wobei es zu wesentlichen Modifikationen kam. So kann die Aussage, dass Henoch „etwas wie ein Haus, das aus Hagelsteinen erbaut war, und zwischen jenen Steinen lebendige Feuerzungen“ (1 Hen 71,5) als eine Zusammenfassung der gesamten Beschreibung beider Häuser in 1 Hen 14,8–25 erachtet werden, bei der einzelne Elemente, die ursprünglich die beiden Häuser voneinander unterschieden haben, kombiniert wurden. So wird das Haus in 1 Hen 71,5 zwar terminologisch entsprechend dem ersten Haus bzw. dem ersten Element seiner Vision, der Außenmauer des ersten Hauses beschrieben (1 Hen 14,9), in theologischer Hinsicht allerdings stimmt es vielmehr mit dem zweiten Haus überein. Indem in 1 Hen 71,5 die Vergleichspartikel ከመ der gesamten Schilderung vom Haus vorangestellt ist, wird von Anfang eine ausschließlich visuelle Wahrnehmung der Elemente Schnee/Hagel und Feuer hervorgerufen. Daneben wurden bestimmte Charakteristika, die in 1 Hen 14,18–23 eng mit dem Thron und der auf ihr sitzenden Gottheit verbunden sind, auf das Haus in 1 Hen 71,6–9 übertragen, sodass das Haus in der Darstellung der Bilderreden insgesamt mehr und mehr in die Rolle des göttlichen Thrones rückt und wie dieser in 1 Hen 14,18–23 nun von zahlreichen Feuerströmen und Engelscharen umgeben ist. Im Umkehrschluss kommt es auf diese Weise zu einer gewissen Marginalisierung des Thrones in 1 Hen 71,5–17.

Abgesehen davon, dass die ausführliche und differenzierte Beschreibung der beiden Häuser in 1 Hen 14,8–25 in 1 Hen 71,5 auf eine einzelne Aussage über das Haus an sich konzentriert wurde, fällt vor allem auf, dass im abschließenden Kapitel der Bilderreden nur noch von einem einzige Haus die Rede ist. Kann daraus geschlussfolgert werden, dass der Verfasser von 1 Hen 71,5–17 die beiden Häuser in Henochs Traumbericht (1 Hen 14–16) doch als einen Tempelkomplex wahrgenommen hat, also für ihn die beiden Häuser unterschiedliche Teile ein und desselben Gebäudes dargestellt haben? Oder zeigen seine rigorose Zusammenfassung und Kombination der einzelnen Elemente, bei der immerhin derselbe Oberbegriff (ቤት „Haus“) verwendet worden ist, dass der Autor die Problematik hinsichtlich der Gegenüberstellung der beiden Häuser als unterschiedliche Tempelentwürfe in 1 Hen 14,8–25 durchaus erkannte, sie jedoch mit Hilfe seiner Neufassung zu nivellieren versuchte oder einfach schlichtweg ignorierte?

Tatsächlich spricht Einiges dafür, dass der Verfasser von 1 Hen 71,5–17 die Gegenüberstellung der beiden Tempelvorstellungen im Wächterbuch wahrnahm und sie in seiner freien Neufassung von 1 Hen 14,8–25 bewusst auflöste. Indem er Elemente aus den Beschreibungen beider Häuser und insbesondere den ersten Gegenstand, den Henoch in seiner Vision erblickt, terminologisch zwar aufgreift, sie jedoch konzeptionell entsprechend dem zweiten Haus bzw. streng genommen nur in Analogie zum göttlichen Thron darstellt, wird jedes negative Moment im



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