Grüß mir die Sonne! by Jan Philipp Zymny
Autor:Jan Philipp Zymny
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Lektora
veröffentlicht: 2018-11-15T00:00:00+00:00
Kapitel 6
Der Übergang
'Du musst etwas für mich tun, mein maginärer Freund.'
Freudig kotzt der Mond das Licht, das nicht sein eigenes ist, da er es nur von der Sonne reflektiert (der Versager), durch die Lamellen der Jalousie in das Doppelzimmer und auf das blaue Huhn. Mit einem schrillen Kieksen setze ich mich im Bett auf.
'Milton, du bist wieder da.'
'Immer noch ganz groß darin, dass Offensichtliche laut auszusprechen, nicht wahr, Hebers?'
'Und immer noch das selbe alte Arschloch.'
Er plustert sein Gefieder auf. Eine bedrohliche, entrüstete Geste, die durch seine Gestalt wirkungslos wird. Dem gegenüber steht die Szenerie einer psychiatrischen Klinik bei Nacht. Sobald das Licht ausgeht, wandelt sich dort die Stimmung rapide. Die Nächte sind das Schlimmste. Nein, die Geräusche in der Dunkelheit sind das Schlimmste. Ziellos umherwandernde, nackte Füße auf Linoleumboden. Die unregelmäßigen Schreie aus der geschützten Station. Es könnte wirklich gruselig sein, wenn ich nicht begeistert wäre.
Plötzlich steht das blaue Huhn auf meinem Schoß. Seine Stimme ist ein Flüstern.
'Ich bin nicht wütend auf dich.'
'Das ist gut. Ich meine, warum auch?'
'Ich bin enttäuscht.'
Er verschwindet und taucht sofort auf dem Tisch in der Ecke am Fenster auf.
'Du hast so schöne Fortschritte gemacht. Wir waren ganz kurz davor, dass du den Übergang schaffst, aber dann hast du alles zunichte gemacht.'
Ich rutsche unangenehm zwischen Decke und Matratze herum. Was sagt er da? Ich hab mir doch keine Schuld zukommen lassen. Ich habe nichts getan.
'Du hast zugelassen, dass sie dich mit Drogen vollstopfen. Du hast zugelassen, dass sie dafür sorgen, dass ich verschwinde. Du hast zugelassen, dass sie unsere ganzen gemeinsamen Fortschritte einfach kaputt machen. Sieh dich an. Du bist fast einer von denen geworden.'
Wie meint er das? Einer von den zerbrochenen, die hiergehalten werden? Ich bin kein Markus, ich bin kein Stefan.
'Wirklich? Du folgst ihren Plänen, du tust, was sie dir befehlen, du hörst bei ihren kleinen Sitzungen zu. Wie bist du nicht einer von denen? Bald haben sie dich so weit, dass sie dich für gesund erklären und dich vor die Tür setzen. Und was dann? Wo willst du hin?'
Gesund. Das wäre doch eigentlich nicht schlecht. Ich ziehe die Knie zur Brust, während Milton sich auf das Fensterbrett teleportiert. Sein Blick fällt auf die Straße.
'Wir hatten Kategorien wie krank und gesund, verrückt und funktional, imaginär und real fast hinter uns gelassen. Wir standen so kurz davor. Verstehst du nicht?'
Nicht ganz. Ich hatte gehofft, dass er wieder auftaucht, wenn ich die Medikamente absetze. Brav hab ich jede einzelne Tablette wieder ausgespuckt. Jetzt ist er zwar zurück, aber irgendwie wirkt er anders.
'Natürlich wirke ich anders, du Mensch! Ich hab so viel Arbeit in dich investiert.'
Verängstigt nehme ich mir mein Kissen und drücke es vor meine Brust. Zwei Tage Arbeit draußen, ja. Von dem jedoch, was hier drin passiert ist, habe ich kaum was mitbekommen. Er erscheint auf dem Kleiderschrank.
'Du begreifst es nicht, oder? Was du beschreibst, ist nur der offenkundige Teil. Ich war aber schon immer da. Ich bin jeder kleine verrückte Impuls, dem man nicht nachgibt. Jeder Gedanke, zu springen, sobald man in einen Abgrund schaut.
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