Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands by Eichendorff Joseph von
Autor:Eichendorff, Joseph von
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-02T16:00:00+00:00
Da kamen die sieben mageren Jahre, wo Nicolai in seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek die kritische Schere über den üppigen Garten legte, alles verschneidend und bestutzend, was sich über das Niveau der Gewöhnlichkeit hinauszulangen unterfing. Es wurde sofort Toleranz und Gewissensfreiheit proklamiert für Juden, Türken und Heiden, jeder aber, der noch des Christentums und dergleichen Aberglaubens verdächtig, fanatisch als Narr oder heimlicher Jesuit verketzert. Nebenher lief auch noch, von Sulzer her, eine Nützlichkeitstheorie durchs Land, ja sogar über die Kanzeln; nicht etwa von dem, was zum ewigen Leben, sondern was für des Leibes Notdurft nütz ist, von Sparsamkeit, Runkelrüben und Kartoffelbau. Mit Fleià im täglichen Haushalt und etwas negativer Moral, die eben niemanden totschlägt oder bestiehlt, meinte man mit dem Jenseits, wenn es überhaupt eines gäbe, schon fertig zu werden; den Spruch: »Trachtet nach dem Himmelreich, so wird euch das andere zugegeben« gradezu umkehrend. Mit einem Wort: das fragliche Subjekt, von der liederlichen Ãberspannung stark mitgenommen, hatte sich wie ein alter Roué die Schlafmütze über die Glatze gestülpt und wollte sich's als ein ruhiger, guter, fetter Bürger endlich einmal kommode machen in der Welt. Solcher Philister aber wuÃte dann freilich mit der Poesie ebensowenig anzufangen als die Poesie mit ihm, und in dieser Verlegenheit verfiel er darauf, mit dem bloÃen Verstande zu dichten.
Schon Hermes hatte diesen praktischen Weg eingeschlagen und Poesie und Religion nützlich zu machen gesucht; die Poesie, indem er lehrhafte Tendenzromane für Frauen, für Töchter edler Herkunft, für Eltern und Ehelustige schrieb; die Religion, indem er sie lediglich auf die handgreiflichste Moral beschränkte. Selbst in seinem berühmtesten Romane »Sophien's Reise von Memel nach Sachsen« sind die Personen eigentlich nur hölzerne Wegweiser nach der oder jener häuslichen Tugend hin, denen man aber nicht ohne inneres Widerstreben folgen kann, da sie fast alle das Unglück haben, höchst langweilig und unliebenswürdig zu sein. Die Verstandespoesie ist überhaupt sehr arm. Sie kommt, da sie bloà von Erfahrung lebt, niemals über die Wirklichkeit hinaus und hat eigentlich nur zweierlei Organe: die Charakterschilderung, d.i. ein nach gewissen äuÃeren Kennzeichen systematisch geordnetes Herbarium der menschlichen Natur, und die Negation aller Erscheinungen, die über das Gebiet der gewöhnlichen Erfahrung hinausragen. In der ersteren Richtung hat Schummel in seinem »Spitzbart« die Basedowschen Schulmänner, im »kleinen Voltaire« die freigeisterischen Deutschfranzosen, in der »Revolution in Scheppenstädt« die deutsche Karikatur der französischen Revolution; Müller von Itzehoe in seinem vielgelesenen »Siegfried von Lindenberg« das grobe pommersche Krautjunkertum; Engel im »Lorenz Stark« die Berliner Salonweisheit und von Knigge in seinem berühmten »Umgang mit Menschen« die höflichen Bücklinge und diplomatischen Kunstgriffe des geselligen Egoismus ganz wacker porträtiert. Alle diese Autoren tummelten noch ziemlich unbeholfen den englischen Pegasus, den ihnen Richardson und Smollett zugeritten. Sie sind, obgleich poetisch null, doch von bedeutendem historischen Wert, indem sie uns ein zum Erschrecken getreues und bis auf das kleinste Wärzchen ausgeführtes Daguerreotypbild des deutschen Michels jener wunderlichen Zeit hinterlassen haben.
Ihr dickköpfiger Meister Nicolai aber übertraf sie doch alle, da er die beiden vorhin bezeichneten Organe der Verstandespoesie gleichzeitig in sich zu vereinigen und insbesondere das Element der Negation tapfer zu handhaben wuÃte.
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