Gehört der Islam zu Deutschland? · Anmerkungen zu einem schwierigen Verhaeltnis by Schlicht Alfred
Autor:Schlicht, Alfred [Schlicht, Alfred]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch
ISBN: 9783280056448
Herausgeber: Orell Füssli
veröffentlicht: 2017-03-10T00:00:00+00:00
Hat der deutsche Papst den Islam beleidigt?
Am 12.9.2006, nur wenige Monate nachdem die Krise um die dänischen Mohammed-Karikaturen ausgebrochen war, hielt Papst Benedikt XVI. eine Vorlesung an der Universität Regensburg zum Thema »Glaube, Vernunft und Universität«. In dieser zitiert er den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologus (1350–1425). Dieser habe »in erstaunlich schroffer, uns überraschend schroffer Form« einem muslimischen Gesprächspartner gegenüber geäußert: »›Zeig mir doch, was Mohammad Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben … durch das Schwert zu verbreiten.‹«[274] Ein Sturm der Entrüstung brach in der islamischen Welt los. Nicht nur in der Türkei, selbst im fernen Malaysia gab es harsche Kritik, ebenso in arabischen Ländern[275] wie auch vom Zentralrat der Muslime in Deutschland, von deutschen Zeitungen und Politikern. Allerdings war es dann auch ein Journalist der türkischen Zeitung Hürriyet (Freiheit), Mehmet Yilmaz, der angesichts der pauschalen und undifferenzierten Kritik vermutete, dass »niemand von jenen in der islamischen Welt, die den Papst wegen seiner Rede attackieren, die Papst-Rede auch gelesen hat«.[276] Dies räumte daraufhin Ali Bardakoğlu, Chef des türkischen Religionsamtes DITIB, auch ein. Im ersten Zorn hatten viele Muslime die fraglichen Zeilen nicht als Zitat in einem wissenschaftlichen Vortrag, sondern als persönliche Meinung und Aussage des Oberhauptes der katholischen Kirche gewertet. Viele hatten das kritisierte Zitat selbst gar nicht gelesen, sondern nur Presseberichte darüber (die wohl ihrerseits bereits den eigentlichen Sachverhalt nicht korrekt wiedergaben).
Benedikt XVI. musste erkennen, dass er als Papst nicht mehr, wie er es als Hochschullehrer lange Zeit getan hatte, wissenschaftliche Vorträge mit nuancierten Aussagen, dialektischer Argumentationsweise und Zitaten aus Originalquellen halten konnte, wie es für jeden Wissenschaftler selbstverständlich ist. Als Oberhaupt der größten christlichen Kirche wurden all seine öffentlichen Äußerungen von der breiten (auch unreflektierten) Öffentlichkeit aufgenommen – und für diese gab es nur noch den Papst Benedikt XVI., nicht mehr den ehemaligen Professor Ratzinger. Jedes Wort von ihm war jetzt ein »Papst-Wort« im Namen der katholischen Kirche. Manche Stimmen der islamischen Welt erhoben schnell den Vorwurf, man habe es mit einem neuen »Kreuzzug« zu tun, und auch der (bereits zitierte) Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi verlieh seinem Zorn Ausdruck. Aber einige Besonnene unter den Muslimen verwiesen darauf, dass der Papst lediglich eine historische Quelle zitiert habe, ohne sich mit ihr zu identifizieren.[277]
Besonders Internetforen sprühten vor Hass und Drohungen, wobei sicherlich viele, die dort ihrer diffusen Wut Luft machten, gar nicht in der Lage oder gewillt waren, zwischen einer Papst-Äußerung und einem Zitat zu unterscheiden. Sichtlich erschrocken bemühte sich der Vatikan um Schadensbegrenzung, betonte den akademischen Kontext der Papst-Äußerungen, die Dialogbereitschaft der Kirche und ihres Oberhirten sowie den Respekt des Papstes vor Koran und Islam. Die muslimische Seite antwortete mit einem offenen Brief 38 islamischer Religionsgelehrter am 25.9.2006, in welchem sie den »Gleichklang zwischen den Wahrheiten der koranischen Offenbarung und den Fragen der menschlichen Intelligenz« hervorhoben, aber auch darauf verwiesen, dass eines der Extreme, die der Islam vermeiden möchte, darin liegt, »den analytischen Verstand zum ultimativen Schiedsrichter der Wahrheit zu machen«. Bezüglich der Gewaltdiskussion im Spannungsfeld
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