Gedichte und Prosa by Alfred Lichtenstein

Gedichte und Prosa by Alfred Lichtenstein

Autor:Alfred Lichtenstein [Lichtenstein, Alfred]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Zeno.org
veröffentlicht: 2015-06-28T22:00:00+00:00


II

Durch die angenehme Art zu sprechen wie durch sein intelligentes Puppengesicht hatte sich der ehemalige Schlosser bald eine unverhältnismäßig große Stammkundschaft erworben, zu dem größten Teil weiblichen Geschlechts. Morgens umstanden seinen Kiosk ein Dutzend Verkäuferinnen eines nahen Warenhauses, die absichtlich zu früh gekommen waren, um sich über die Zoten und fidelen Glossen des Herrn Mechenmal zu freuen. Der Bankbeamte Leopold Lehmann, der stets pünktlich um acht Uhr kam, um illustrierte Witzblätter und theologische Streitschriften zu kaufen, wurde manchmal ungeduldig, weil die lustigen Verkäuferinnen ihn bei dem Aussuchen störten. Und der Gymnasiast Theo Tontod, der unermüdlich, in der Regel vergeblich, nach der modernen Zeitschrift: »Das andere A« fragte, kam oftmals zu spät in die Schule. – Gegen Mittag erschien fast täglich die Choristin Mabel Meier an dem Arm eines alten Mannes. Sie kaufte bunte, pikante Zeitschriften oder gefühlvolle mit langen lyrischen Gedichten. Der alte Mann, der immer wehleidig blickte, bezahlte seufzend.[37] Sie verhielt sich Mechenmal gegenüber zurückhaltend.- Manchmal kam auch Mieze Maier, ein Backfisch, und fragte, ob Herr Tontod dort gewesen sei. Einmal blieb Mieze Maier länger; von der Zeit an häufiger. – Zu unbestimmten Stunden war ein dickes gemütliches Dienstmädchen des Kaufmanns Konrad Krause an dem Kiosk. Und sagte zu Mechenmal, er sei hübsch; er habe leidenschaftlich schwarze Augen und einen Knutschmund; ob er Sonntags nicht Laune habe, tanzen zu gehen; es liebe ihn sehr. Mechenmal antwortete, er werde die Neigung von Fräulein Frida gelegentlich erwidern. Das Dienstmädchen erinnerte ihn peinlich oft an sein Versprechen.- An jedem Dienstagnachmittag forderte ein sonderbarer Herr Simon, der in einem offenen Sanatorium wohnte und stets von einem Wärter begleitet wurde, Zeitschriften für Bestattungswesen; wenn nicht genügend vorhanden waren, entfernte er sich sehr ungehalten und auf die Krematorien schimpfend. – Auch Kuno Kohn kam mehrmals in jeder Woche; seltener, um zu kaufen, hauptsächlich um seinen Freund zu besuchen und für die Abende Zusammenkünfte zu verabreden. – Studenten, Damen, Offiziere, Arbeiter kauften ihre Zeitungen. Nur Ilka Leipke war trotz wiederholter Aufforderungen Mechenmals nicht zu bewegen, zu dem Kiosk zu kommen.

Das war eine Laune von Ilka Leipke. Sie hatte ja viel Zeit und klagte dem Geliebten manches Mal, die Tage seien noch langweiliger als die Nächte. Auch liebte Ilka Leipke ihren süßen Zwerg nicht etwa weniger als in den ersten Zeiten ihrer Bekanntschaft. Obwohl Mechenmal sie immer herrischer behandelte, immer gemeiner zu ihr wurde. Zuletzt machte ihm Freude, wenn sie weinte; er war niemals zufrieden, ehe er sie dazu gebracht hatte. Dann vergnügte er sich, sie wieder zu trösten. Hinterher[38] war er allerdings sehr gut zu ihr, er liebte sie im Grunde. Er ließ sich von Ilka Leipke sanft streicheln und küssen. Er war ein bißchen größer als sie, aber sie hatte ihn auf ihrem Jungenleib wie ein Kind. Sie erzählten einander. Sie lachten. Sie küßten. Viele Male untersuchten sie die Geschichte ihrer Begegnung. Sie entdeckten tausend neue Einzelheiten oder logen sich solche vor, weil dies schön war. Das Fräulein suchte aus einem Kästchen, in dem kleine Sachen lagen, einen Zeitungsausschnitt hervor, auf dem zu lesen war:



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