Geburtstag by Stefan Heidenreich
Autor:Stefan Heidenreich
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2018-02-14T16:00:00+00:00
Zahl gewinnt
Die weitere Entwicklung von Namens- und Geburtstag können wir vom Ende her erzählen. Heute wird so gut wie nirgends mehr Namenstag gefeiert. Der Geburtstag hat auf ganzer Linie gewonnen. Dass das so kommen musste, wäre wohl etwas zu viel gesagt. Der Geburtstag ist das einfachere und direktere der beiden Feste. Wenn schon Privatfest, dann eines, das sich ganz aus dem eigenen Datensatz speist. Der Namenstag dagegen musste immer den Umweg über einen kirchenamtlichen Heiligenkalender nehmen. Hinter der Konkurrenz von Zahl oder Name steht der Gegensatz von Staat und Kirche. Im Geburtstag feiert der Bürger seine freiwillige Zuordnung zu den staatlich erhobenen Geburtsdaten.
Im frühen 20. Jahrhundert war der Konflikt zwischen Namens- und Geburtstag noch nicht entschieden. Jedenfalls in Mitteleuropa, und das heißt in der Gegend, aus der die beiden Feste in ihrer neuzeitlichen populären Form aller Wahrscheinlichkeit nach stammen. Dort feierten, wie schon gesagt, die Katholiken den Namen, die Protestanten die eigene Geburt. Die eigentlich spannende Frage ist nun: Wie kam es zu diesem Auseinanderdriften, wo offenbar doch am Anfang beide Feste kreuz und quer zu jeder Religionszugehörigkeit von allen begangen wurden? Meine Vermutung ist ungefähr diese. Paul Flemings Gedichtsammlung spiegelt die Lage auf einem Höhepunkt der Religionskämpfe wider. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648, also acht Jahre nach seinem Tod, wurde die Frage der Religionszugehörigkeit formell geklärt. Cuius regio, eius religio. Wessen Herrschaftsbereich, dessen Religion. Die Staaten hatten ihre Waffen mit einem Patt niedergelegt. Aber die Konkurrenz der beiden christlichen Glaubensrichtungen war damit noch keineswegs überwunden. Im Gegenteil. Sie verlagerte sich vom Krieg zwischen den Staaten in die private Sphäre jedes Einzelnen. Da beide Religionen ihre Gläubigen zu Vertragspartnern gemacht hatten, wurde die Zuordnung zu einer ganz individuellen Entscheidung. Dieser Kampf um den privaten Glauben findet genau auf dem Schauplatz des einzelnen Individuums statt, auf den sich auch die beiden Feste beziehen.
Die Katholiken, für die zwischen Gott und Gläubigem immer Priester und Kirche vermitteln, feiern stellvertretend den Heiligen als Namensgeber des eigenen Selbst.
Die Protestanten haben es in der Hinsicht einfacher. Sie können sich vom Adel die Geburtstagsfeier abschauen. Genauso, wie hier nichts zwischen Gläubigem und Gott stehen darf, bildet auch der Geburtstag einfach das Datum der eigenen Geburt ab. Als direkter Vertragspartner Gottes braucht der Gläubige nichts weiter, um sich selbst feiern zu können.
Dass sich die beiden Feiern derart auseinanderentwickeln, muss später passiert sein. Und dafür gibt es eine gute Erklärung. Der Konflikt zwischen den beiden Glaubensrichtungen trat vom staatlichen in den privaten Bereich über. Dabei ließen sich die beiden verschiedenen Feste, gerade wegen ihrer gemeinsamen Anlage im Privaten, leicht mobilisieren. Sie erfüllten den Zweck, Unterschiede zwischen den beiden Glaubensrichtungen im Privaten abzubilden und zu bestärken. Darin liegt wohl auch der Grund, dass die moderne Tradition des Geburtstags ausgerechnet jenem Sprachraum entspringt, der auch die Glaubensspaltung hervorgebracht hat. Man kann dieses Gebiet nicht als »Deutschland« bezeichnen, denn dieses Land ist eine viel spätere Erfindung. Für die Vermutung, dass sich Geburtstag und Namenstag erst spät voneinander trennen und gegeneinandergestellt werden, spricht übrigens auch die Tatsache, dass sich die Zuordnung von Fest und Religion in den Randgebieten des deutschen Sprachraums nicht durchsetzte.
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