Formen der Liebe by Franz Blei

Formen der Liebe by Franz Blei

Autor:Franz Blei [Blei, Franz]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Essay
Herausgeber: Perlen-Verlag
veröffentlicht: 1955-12-31T23:00:00+00:00


Der frivole Stil

Die Leichtigkeit und scheinbare Voraussetzungslosigkeit der Formen des Rokoko, der Zeit von 1740 bis 1790, gelten, – oberflächlich gesehen, – als Wesen und Gesetz für alle Form, in der man nichts als ein sogenanntes Äußerliches sieht, das ganz eklektisch gewählt wird. Das Rokoko verbarg Zweck, Konstruktion und Elemente hinter dem Ornament; man hob scheinbar alle statischen Gesetze auf – barockes Erbe – und gefiel sich im Illusionismus; man vermengte Plastik und Architektur so oft, indem man beides malte. Kirchen machte man wie Theater, Schlafzimmer wie Altäre, Bäume und Sträucher schnitt man nach Tierformen, Kaskaden ließ man aufwärts fließen, die Liebe reklamierte man für den Verstand, und den einzigen Zweck der Ehe sah man im Ehebruch und in der Ehescheidung das Sakrament dieses Ehebruchs. Das Gespräch und der Brief wurden die beliebtesten Ausdrucksformen auch für gelehrteste Dinge, denn man wollte nicht vor den Frauen pedantisch erscheinen, und man liebte den belebten Reichtum der Oberfläche und die Sinnlichkeit des Geselligen aus einer Tiefe heraus, die sich nicht selber genügte. So hatte das Rokoko in der Musik sein Genie. Dieses bewußt oberflächliche Jahrhundert kultivierte seine Oberfläche um so leidenschaftlicher, je mehr Kräfte von unten sich rührten, welche die Formen dieses Lebens in Zweifel stellten, weil sie dieses Leben selber verwarfen. So stark war noch die Kraft zur Form und die kulturelle Verpflichtung zur Oberfläche, dieses große Erbe der Renaissance, daß sich die Tiefen und Neuen selber darein begeben mußten, Diderot wie Rousseau, Lessing wie Goethe, Händel wie Mozart, Watteau wie Fragonard.

Man zitiert oft die Sitten des Rokoko als das Musterbeispiel der Unsittlichkeit. Aber das Quantum dessen, was im Sittlichen des erotischen Komplexes geschieht, ändert sich in den Zeiten sehr wenig, es wird sich immer oder meistens an der Grenze des gerade noch Möglichen halten. Man tat immer nur, was man konnte, und nicht mehr. Man vernichtete sich nicht, erschöpfte sich kaum. Man hat in der Zeit des ancien régime nicht unsittlicher gelebt als im Rom der späten Kaiser. Es änderte sich nur die Haltung. Variabel ist nur die Wertung des Geschehens. Das achtzehnte Jahrhundert moralisierte leichter, mit einem leichteren Gewissen. Es dürfte an dem ethischen Ideal gelegen haben, das sich jene Zeit aus ihrer Vernünftigkeit konstruierte, daß es zu keinen andern moralischen Reaktionen führte als solchen, die sie nur theoretisch äußern. Brachte der Zufall eines auf der Landstraße zerbrochenen Wagens die für die einfachen Sitten des Landvolkes schwärmenden Pariser an die Wirklichkeit dieses Landvolkes – in Schmutzhöhlen hausende Halbwilde –, dann konnte praktisch von der Schwärmerei nur eine Arabeske übrig bleiben oder ein dichterisches Spiel, das gefiel, an das man aber nicht glaubte. Es wäre aber falsch, den Geist jener Zeit anzuklagen, daß er nicht strenger gewesen sei und dadurch das Sittenlose gefördert hätte. Rousseau allein wiegt wohl die hundert Crébillons und Genossen auf, über die Laclos Autor der Liaisons dangereuses wie ein Strafgericht kam, da die Zeit für die Herrschenden und Formgebenden ihrem Ende sich zuneigte. Aber Laclos richtet nicht die sinnliche Entfesselung, sondern die Vergewaltigung des Sinnlichen durch den Verstand, der Leidenschaft durch die Klugheit, der Liebe durch das Vergnügen.



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