Fördewölfe (German Edition) by Yvonne Asmussen

Fördewölfe (German Edition) by Yvonne Asmussen

Autor:Yvonne Asmussen [Asmussen, Yvonne]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863587703
Herausgeber: Emons Verlag
veröffentlicht: 2015-03-16T16:00:00+00:00


37

Jessica saß an ihrem Schreibtisch in der Redaktion. Sie war allein. Wenigstens beinahe. In der Ecke links auf der anderen Seite des Büros saß noch Lutz, ein Kollege, der mit einer halben Stelle beim Wochenboten seine Familie nicht ernähren konnte und deshalb noch für ein Online-Magazin arbeitete. Sie konnte das Licht der Schreibtischlampe sehen und das hastige Klicken seiner Tastatur hören. Ein Artikel musste wohl heute unbedingt fertig werden.

Sie starrte den blinkenden Cursor auf dem weißen Bildschirm an. Sie hatte noch kein Wort geschrieben. Sie fühlte sich leer, sprachlos. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Warum war sie überhaupt hergekommen? Warum war sie nicht nach Hause gegangen?

Das Interview mit Christina Martens war ein Fiasko gewesen. Anstatt dass sie Informationen aus ihr herausgekitzelt hatte, hatte die Ärztin einfach den Spieß umgedreht. Noch vor wenigen Tagen wäre ihr das nicht passiert. Sie war nicht auf der Höhe.

Jessica legte ihre Hände auf die Tastatur und wartete darauf, dass die Worte zu fließen begannen. Normalerweise konnte sie auf Knopfdruck schreiben, ein Vorteil, wenn man ständig unter Zeitdruck stand. Aber es kam nichts. Kein einziges Wort kam aus ihr heraus. Der Kaffee in dem Becher vor ihr war mittlerweile kalt. Die Dose mit den gerösteten Cashewkernen, die sie gern während der Arbeit knabberte, stand unberührt da. Nichts war wie sonst.

Ihr Leben stand kopf, und Mark war nicht mehr da.

Das Klicken der Tastatur vom anderen Schreibtisch hörte auf, die Schreibtischleuchte erlosch. Lutz kam auf sie zu, im Gehen zog er sich seine Jacke über.

»Für heute bin ich fertig«, sagte er mit einem Lächeln.

Jessica strich sich das Haar aus dem Gesicht. Allein diese Bewegung fiel ihr schwer, kostete Mühe und Kraft.

»Woran hast du denn gearbeitet?« Es interessierte sie nicht wirklich. Die Frage war lediglich ein Versuch, innerhalb des Chaos und der Trümmer einen letzten Rest Normalität aufrechtzuerhalten.

»An einem Beitrag für ›Schleswig-Holstein online‹ über den Toten, den sie heute im Klueser Wald gefunden haben. Ein Selbstmord. So wie es aussieht, war der Mann einer von denen, die niemand beachtet, bis irgendwann die Sicherungen durchbrennen. Wenn du magst, kannst du dir den Artikel mal durchlesen. Ich finde ihn gelungen.«

Ja, das war deutlich zu merken. Lutz hatte die Aura eines Menschen, der mit sich und seiner Arbeit rundum zufrieden ist.

»Ich schaue ihn mir mal an«, sagte Jessica.

»Ich gehe dann jetzt. Du bleibst noch?«

Sie nickte. »Seit Freitag ist ein bisschen was auf dem Schreibtisch liegen geblieben.«

»Wenn du Hilfe brauchst …«

Verfluchte Aasgeier. Der Kollege zappelt noch, und sie hüpfen schon näher, um sich die besten Stücke zu sichern.

Jessica zwang sich zu einem freundlichen Lächeln.

»Danke, lieb von dir. Aber ich schaffe das.«

»Klar. Du bist ein Profi.« Er zwinkerte ihr zu und klopfte auf die Schreibtischplatte. »Schönen Abend noch!«

»Danke, dir auch.«

Sie hörte, wie sich seine Schritte entfernten und die Glastür hinter ihm ins Schloss fiel. Jetzt war sie allein in der Redaktion. Sollte sie auch nach Hause gehen? Aber was sollte sie da? Schlafen konnte sie ohnehin kaum. Sollte sie allein auf dem Sofa sitzen, eine Flasche Rotwein leeren und dabei die Wand oder den Fernseher anstarren? Da war die Redaktion schon besser.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.