Erinnerungen an eine Ehe by Begley Louis

Erinnerungen an eine Ehe by Begley Louis

Autor:Begley, Louis
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2013-12-31T16:00:00+00:00


Nach dem Dinner brachte ich Lucy nach Hause. Da ich merkte, dass sie sich enger an meinen Arm lehnte, als ihre zweifellos vorhandene Müdigkeit rechtfertigte, lehnte ich die Einladung auf einen Abschiedstrunk in ihrer Wohnung ab. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, entgegnete sie und küsste mich auf den Mund. Ich bin zwar einsam, aber kaum gefährlich. Komm bald mal wieder. Tatsächlich machte mir jedoch die Direktheit ihrer Erzählung zu schaffen: Ich spürte, dass ich weiter in ihren Bannkreis gezogen wurde, als vernünftig schien, und instinktiv schob ich ihr die Schuld daran zu. Ich wusste, dass das unfair war. Sie war jahrelang in Analyse gewesen – als sie mit Thomas nach New York umgezogen war, habe sie sich weiterhin von einem Psychoanalytiker behandeln lassen, sagte sie mir – und hatte gelernt, ausdrücklich über Gefühle und Handlungen zu sprechen, über die man einst und vielleicht heute noch zu schweigen hatte, und ich vermutete, dass sie auch jetzt die eine oder andere Therapie machte. Dazu kam noch etwas: Wenn ich gewisse Gewohnheiten außer Acht ließ, die sie sich womöglich in all den Jahren auf der Couch zugelegt hatte, und das Problem nur mit dem Blick des Romanciers betrachtete, musste ich mich fragen: Wie könnte sie ihre Geschichte anders erzählen? Eine überzeugende Antwort fand ich nicht. Richtig war auch, dass meine ursprüngliche Neugier, die sich zunächst nur geregt hatte, weil Lucy an dem Ballettabend mit so unbegründeter Schärfe über Thomas redete, mittlerweile fast zu einer Obsession geworden war. Kluge Zurückhaltung hin oder her: Ich war entschlossen, zu verstehen, warum diese verdrehte, aber schöne, charmante und verführerische junge Frau, die mir im Gedächtnis geblieben war, sich so verändert hatte, so verbittert, aggressiv und zänkisch geworden war. Diese Frage stand jetzt jeden Morgen vor mir. Klar war, dass Alter und Einsamkeit mitgewirkt hatten, aber etwas anderes musste dazugekommen sein, ein Gift, das sie und Thomas ausgeschieden hatten. War es möglich, dass der arglose junge Mann, den sie mir vor gut einem halben Jahrhundert vorgestellt hatte, der mir später bekannt war als ein prominenter, höchst erfolgreicher Bankier mit dem Verdienst, einen wichtigen Beitrag zur Lösung der lateinamerikanischen Schuldenkrise geleistet zu haben, und der als ein sozusagen öffentlicher Intellektueller galt – eine Bezeichnung, die mir missfällt –, dass dieser Mann im Privatleben ein Monster gewesen war? Oder jedenfalls mehr von einem Monster an sich hatte, als ich und so gut wie alle anderen, die ihn kannten, uns vorstellen konnten? So geschah es, dass ich Lucy in den Wochen vor ihrem Sommeraufenthalt in Little Compton und meinem in Sharon häufiger sah, zum Tee in ihrem Apartment – ich hatte mir geschworen, dort nicht mehr mit ihr zu essen – und beim Dinner in Janes Bistro an der Lexington Avenue, das mein Esszimmer an der East Side geworden war.

Ich war beeindruckt von ihrer Fähigkeit, in chronologischer Reihenfolge zu erzählen, damit erleichterte sie mir die Rekonstruktion, wenn ich später über die Ereignisse nachdachte. Die Geschichte nahm unerbittlich ihren Verlauf.

Am Abend des Tages, an dem Dr. Reiner Thomas seinen



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