Ein Callboy kommt selten allein (German Edition) by Westphal Ann

Ein Callboy kommt selten allein (German Edition) by Westphal Ann

Autor:Westphal, Ann [Westphal, Ann]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-01-31T05:00:00+00:00


Nachdem sie die Arbeit an Marcs gesundem Arm beendet hatte, widmete sie sich seiner rechten Seite. Es war immer wieder erschreckend, wie schnell die Muskulatur abbaute, wenn sie nicht bewegt wurde. Sein Oberarm war auf dieser Seite deutlich schmaler. Dafür wiesen Unterarm und Hand eine unnatürliche Schwellung auf: Wasseransammlungen, die mangels Bewegung nicht automatisch aus dem Bindegewebe abtransportiert werden konnten. Also galt es, sich auch darum zu kümmern.

Sogar diese Griffe saßen noch immer. Sie hatte sie von ihrem Ex gelernt, denn manuelle Lymphdrainage gehörte eigentlich nicht ins standardmäßige Behandlungs-Repertoire von Ergotherapeuten. Wenigstens für eine Sache war diese missglückte Liebe dann also doch zunutze gewesen.

Später organisierte sie in der Küche zwei Gefrierbeutel, die sie mit unterschiedlich temperiertem Wasser befüllte.

„Bitte schließ noch mal die Augen und versuch mir zu sagen, ob du kaltes oder warmes Wasser spürst.“ Marc warf einen schwer interpretierbaren Blick auf die beiden Beutel und verkniff sich ganz offensichtlich eine Bemerkung. An was auch immer er bei dem Anblick dachte – es gehörte thematisch mit Sicherheit nicht hierher.

„Ich fange auf der linken Seite an – absichtlich ...“, nahm sie ihm mit unnachgiebiger Stimme den Wind aus den Segeln, bevor er wieder einen seiner Kommentare loslassen konnte. Marc blies die Backen auf und unterdrückte mit einem eigentümlichen Geräusch ein Lachen.

„Es geht los. Du sagst kalt oder warm.“

„Aye, Captain. Kalt … kalt … warm … kalt … warm … warm …“ Er antwortete plötzlich nicht mehr.

„Was ist?“

„Kennst du das noch von früher, wenn man etwas suchen musste? Wärmer, kalt, kalt, wärmer, heiß!“

„Mhm, kenn' ich auch.“ Anscheinend gab es durchaus Überschneidungen in den Kindheitserinnerungen eines normal Sterblichen und eines Adelssprosses. Wie auch immer – es ging weiter. „Jetzt zur anderen Seite. Und los.“

„Oh Mann, keine Ahnung. Ganz davon abgesehen, dass ich sowieso so gut wie nichts spüre, habe ich keinen Schimmer, welche Temperatur das Nichts hat.“

„Ich drücke etwas fester zu.“

„Hoffentlich platzen die Teile nicht.“ Wieder schien er sich ein Lachen zu verkneifen. „Also, das könnte kaltes Wasser sein.“

„Nein. Und jetzt?“

„Ich tippe mal auf kalt.“

„Geraten.“

„Yep. Dich legt man nicht so schnell rein, wie?“

„Nope.“

„Kalt.“

„Nein, gar nicht berührt.“

Er öffnete die Augen. „Ach Scheiße, das hat doch keinen Sinn. Also, diese Massage und das Bewegen schon, aber das andere geht einfach nicht. Du könntest mir eine Zigarette auf dem Arm ausdrücken, und ich würde es nicht merken.“

„Wirfst du die Flinte immer so schnell ins Korn?“

„Sophie, mein Arm ist schon seit Wochen so – glaubst du allen Ernstes, da geht noch was?“

„Ja, das glaube ich nicht nur, das weiß ich.“

„So, du weißt das“, erwiderte er ungehalten.

„Ja, weil der Nerv nicht komplett zerstört und auch nicht abgerissen ist.“

„Und auf wie viele Wochen, Monate oder Jahre in diesem Zustand habe ich mich da einzustellen? Weißt du das auch? Komm schon, du bist doch diejenige, die Ahnung hat.“ Vorbei war es mit seiner guten Laune. Plötzliche Stimmungsschwankungen – keine Seltenheit bei Patienten mit schleppendem Krankheitsverlauf und immer wieder aufflammenden Schmerzen. Mit professioneller Distanz zum Patienten ohne größere Probleme zu ertragen, nicht so bei jemandem, der einem nahe stand: Verständnis und Gereiztheit gaben sich in ihrem Gefühlschaos die Klinke in die Hand.



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