Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR 1949–1990 by Katja Hoyer

Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR 1949–1990 by Katja Hoyer

Autor:Katja Hoyer [Hoyer, Katja]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455015690
Herausgeber: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH


Anerkennung

Tal der Könige, Luxor, Ägypten, 26. Februar 1965. Walter und Lotte Ulbricht standen in der trockenen Luft der berühmten archäologischen Stätte am Westufer des Nils und bestaunten die antiken Monumente, die sie umgaben. Der 71-jährige Erste Sekretär trug einen kompletten Anzug mit Krawatte, und das einzige Indiz für den Ort, an dem er sich befand, war ein weißer Panamahut. Seine Frau schrieb später einen schwärmerischen Reisebericht für die Frauenzeitschrift Für Dich, der in ein Buch mit dem Titel Eine unvergeßliche Reise umgewandelt wurde. Darin schilderte sie, wie »freudig und erregt« sie gewesen sei: »Zum ersten Mal geht es in ein Land der nichtpaktgebundenen Staaten und dazu noch nach Ägypten, das uns schon von der Schule her durch seine jahrtausendealten Kulturschätze bekannt ist und als unerreichbares Ziel unserer Träume galt. Jetzt werde ich die Pyramiden und Tempel sehen.«[281] Es war ihr ein Bedürfnis, darauf hinzuweisen, dass solch beeindruckende Monumente nur durch Ausbeutung hätten geschaffen werden können. So sei es den Pharaonen gleichgültig gewesen, »wie viele Menschen dadurch von jeder nützlichen Arbeit abgehalten wurden« und die gigantischen Unterfangen mit ihrer Habe oder gar ihrem Leben bezahlt hätten.[282] Trotzdem war das Paar von allem, was es sah und erlebte, schwer beeindruckt – von der langen Reise auf dem Kreuzfahrtschiff Völkerfreundschaft, die, wie Lotte Ulbricht zugab, ein »heimlicher Wunsch« von ihr gewesen sei, bis hin zum »schönen und klugen Gesicht« von Präsident Nasser, der sie mit großem Tamtam empfing, wie die Zeitung Neues Deutschland berichtete: »21 Schüsse Salut über der Nilmetropole. Herzliche Begegnung mit Präsident Nasser. Staatsratsvorsitzender überbringt DDR-Gruß. Zehntausende Kairoer auf dem Ramses-Platz. Triumphfahrt durch die Hauptstadt. Deutsch und Arabisch: Es lebe Ulbricht!«[283]

Es war ein großer diplomatischer Triumph für die DDR. Seit die westdeutsche Hallstein-Doktrin von 1955 den Alleinvertretungsanspruch Bonns für alle Deutschen – in Ost und West – formuliert hatte, war die DDR diplomatisch und wirtschaftlich isoliert gewesen. Das politische Gewicht der größeren und wohlhabenderen BRD genügte, den Rest der Welt zu nötigen, Ostdeutschland weder als Staat anzuerkennen noch mit ihm Handel zu treiben oder seine politischen Vertreter zu Staatsbesuchen einzuladen. Damit hätte man den Unmut der mächtigen westdeutschen Exportwirtschaft auf sich gezogen. Ulbricht gelang es jedoch, die außenpolitischen Spannungen zu nutzen, die sich ergaben, als Bonn Israel einen Kredit in Höhe von 60 Millionen Dollar für Waffenkäufe zusagte.

Zum ersten Mal waren die Beziehungen zwischen der BRD und den arabischen Staaten des Nahen Ostens ernsthaft gefährdet. In dieser Situation schrieb Walter Ulbricht einen freundschaftlichen Brief an den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser. Darin bat er nicht um einen Staatsbesuch, sondern erklärte lediglich, er sei krank, und seine Ärzte hätten ihm empfohlen, einige Zeit in wärmeren Gefilden zu verbringen. Er bat Nasser um die Erlaubnis, ein paar Tage Urlaub in der ägyptischen Sonne zu machen. Weil er die Bonner Regierung von Bundeskanzler Ludwig Erhard wegen ihrer Unterstützung Israels ärgern wollte, willigte Nasser ein. Bonn reagierte unbeholfen, indem es Nasser öffentlich politische Spielchen vorwarf und mit der Hallstein-Doktrin drohte. Doch Ägypten ließ sich von der Aussicht auf ein beschädigtes Verhältnis zu Bonn nicht einschüchtern.



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