Die Wahrheit über das Sterben • Wie wir besser damit umgehen by Ernst Engelke

Die Wahrheit über das Sterben • Wie wir besser damit umgehen by Ernst Engelke

Autor:Ernst Engelke [Engelke, Ernst]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644543416
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-08-27T16:00:00+00:00


Das (Mit-)Leiden der Angehörigen und Freunde

Nur in Ausnahmefällen sind die Angehörigen Sterbenskranker auch selbst krank und pflegebedürftig. Für gewöhnlich sind sie nicht erkrankt, sondern handlungsfähig. Durch ihre Verbindung zum Sterbenskranken wird allerdings nicht nur ihre Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt, sondern auch ihr bisheriges Leben bedroht. Darüber beginnen sie zu trauern. Insofern sind sie Teilhaber, Mitduldende, Mitleidende, also Compagnons des Sterbenskranken, kurz «Co-Patienten».

Freilich bestimmt die Qualität ihrer Beziehung zum Sterbenskranken den Grad der «Betroffenheit» und auch, inwieweit sie Co-Patient sind. Nahe Angehörige wie Ehepartner und Kinder sind normalerweise stärker betroffen als entfernte Angehörige. «Ich weiß ja, dass mein Mann sterben muss. Das darf er aber nicht. Wie soll ich ohne ihn zurechtkommen?» Allgemein gilt: Je liebevoller Angehörige und Freunde mit dem Sterbenskranken verbunden sind, desto intensiver werden sie zu Co-Patienten. Gleichfalls gilt: Je distanzierter Angehörige mit dem Sterbenskranken verbunden sind, desto weniger werden sie es.

Die lebensbedrohliche Erkrankung eines Familienangehörigen wirkt sich sowohl auf den Alltag jedes einzelnen Familienmitglieds aus als auch auf den Alltag der gesamten Familie. Das bisherige Zusammenspiel aller Beteiligten ändert sich. Mit der Erkrankung beginnt für alle ein Leben in der Schwebe und ein Kampf gegen den Tod: Was wird? Da rollt etwas Unheimliches auf alle zu. Angst vor dem «Ernstfall» steigt auf. Um das Leben des Vaters, der Mutter oder der Tochter wird gebangt. Der Verfall des Sterbenskranken und seine Trauer werden miterlebt und lassen auf Dauer keine Ausflüchte zu. Das Unfassbare wird beklagt und beweint: «Das gibt es nicht. Das kann nicht sein. Papa war doch nie krank und hat immer gesund gelebt. Er ist doch noch Auto gefahren.»

Jeder weiß, was los ist und auf die Familie zukommt. Niemand traut sich, es auszusprechen. Alle hoffen: «Wenn wir den Krebs besiegt haben, wird alles wieder gut.»

Fürsorgliche Angehörige tun für gewöhnlich alles, um das Unheil abzuwenden. Ehefrauen können zum Beispiel die Aussage des Arztes, dass die Heilung ihres Mannes nicht möglich sei, und den Gedanken, dass er zu spät zum Arzt gegangen sei, nicht annehmen. Vielmehr verbinden sie sich mit dem Sterbenskranken und kämpfen mit ihm und für ihn: «Ich habe mich von meinem Arbeitgeber beurlauben lassen und möchte ganz für meinen Mann da sein.»

Bisweilen sind Sterbenskranke jedoch dem Aktionismus ihrer Angehörigen schutzlos ausgeliefert. Der Ehemann einer Sterbenskranken kündigte an: «Ich werde alle Register ziehen. Nach jedem Strohhalm werde ich greifen. Ich werde sie zu dem Heiler in Spanien bringen. Der hat einen Bekannten vom Krebs befreit. So tut sich ja nichts.» Angehörige suchen nach den besten Ärzten, beantragen Kuren, setzen Heilmittel aller Art ein und recherchieren neue Behandlungsmethoden: «Wir müssen alles versuchen!» Vornehmlich Angehörige aus osteuropäischen Ländern bedrängen ihre Sterbenskranken mit Essen, missachten deren palliative Situation und fordern sie ständig – oft gegen deren Widerstand – auf zu essen, um wieder gesund zu werden.

Skeptische Angehörige verfolgen und dokumentieren dagegen die Behandlung in der Klinik oder im Heim argwöhnisch, kontrollieren jede Aktion der Ärzte und Pflegenden und hinterfragen sie. Mit Smartphones und Kameras fotografieren und filmen sie alles, was ihnen nicht gefällt, und stellen Fotos und Film ins Internet oder übergeben sie mit bösen Kommentaren der Presse.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.