Die schönsten Liebesgeschichten by Siegfried Lenz
Autor:Siegfried Lenz [Lenz, Siegfried]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455000184
Herausgeber: Hoffmann und Campe
Frederik hatte immer einen Flachmann bei sich, ob er auf dem Prahm arbeitete oder auf dem Schlepper, ob er auf der Bank vor dem Schuppen saß oder zur Vogelinsel fuhr: Von Zeit zu Zeit griff er in seine Brusttasche und holte den Flachmann heraus und setzte ihn an die Lippen, eine im Lederbezug steckende Metallflasche, die mit seinem Lieblingsrum gefüllt war. Das tat er gewiß auch an jenem Nachmittag, als er querab vom Seeblick bei zunehmender Windstärke aus dem Schlauchboot kippte und den Zuschauern, die sich auf der Holzbrücke einfanden, ein unterhaltsames Ferienerlebnis anbot. Ich zweifelte nicht, daß das Schlauchboot von einer unterlaufenden Welle angehoben wurde, als er den Außenbordmotor neu einstellen wollte, er kippte ins Wasser, und nun schwamm er, schwamm, während das Schlauchboot immer noch Fahrt machte, aber keinen geradlinigen Kurs einhielt, sondern sich in Kreisen um den Schwimmer bewegte, in weitläufigen, mitunter in engen Kreisen. Bei dem Versuch, die ringförmige Leine des Schlauchboots zu fassen, geriet der Schwimmer in Gefahr, unter Wasser gedrückt zu werden, er tauchte dann seitlich weg, manchmal mußte ich glauben, das Boot habe es auf ihn abgesehen und machte Jagd auf ihn, er rettete sich dann mit hastigen Schwimmstößen.
Plötzliche Böen kündigten schweres Wetter an, einer der ersten Fischkutter, die von der See heimkehrten, drehte bei und nahm Frederik an Bord und das Schlauchboot in Schlepp, alle Kutter strebten in die Sicherheit des Hafens. Die Zuschauer auf der Brücke verliefen sich, im Kaffeegarten des Seeblick bargen Kellner Sonnenschirme und Tischtücher und Girlanden, auch zwei Hochseekutter kamen herein, die draußen nach Dorsch gefischt hatten. Lang hereinrollende Wellen von der See warfen sich auf, hoben sich wie unter einem Griff, bevor sie zusammenstürzten und die Wucht ihres Sturzes ahnen ließen. Die Wolken, dunkel, zerrissen, trieben niedrig. Auf einmal sah ich ihn, auf einmal sah ich den Zweimaster draußen, der in unsere Bucht hineinkreuzte, stetig kam er auf bei steifem Nordost. Obwohl ich den Namen nicht lesen konnte, wußte ich sofort, daß es die Polarstern war und daß sie Stella nach Hause brachte, zu mir brachte. Nach einem erkennbaren Schlag lief sie einen Moment vor dem Wind energisch und mit vollen Segeln, es gab keinen Zweifel, daß sie den Hafen ansteuerte. Ich sprang von der Brücke auf den Strand und lief am Strand entlang zur Hafenmole, auch dort standen Leute und beobachteten die Heimkehr der Kutter, unter ihnen der alte Tordsen, der weniger bestellt oder gewählt worden, sondern nach stillschweigender Übereinkunft unser Hafenkapitän war. Er, der Hafenkapitän, hatte nur Augen für den Segler, er brauchte nicht zu erraten, was die Besatzung vorhatte. Als hätte er Anweisungen zu geben, sprach er halblaut vor sich hin, empfahl oder warnte: »Nehmt das Großsegel weg, kommt mit Motorkraft rein, laßt die Fock stehen, allein die Fock, bleibt draußen, laßt den Anker fallen.« Er sprach es gegen den Wind, fluchte mitunter, stöhnte, begleitete jede Phase des Manövers, ich stand knapp hinter ihm, ich spürte eine Angst aufkommen und mit der Angst einen unbekannten Schmerz. Es war nicht auszumachen, wer auf der Polarstern am Ruder stand, an Deck waren mehrere Gestalten zu erkennen.
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