Die langen Abende by Strout Elizabeth

Die langen Abende by Strout Elizabeth

Autor:Strout, Elizabeth
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Luchterhand HC
veröffentlicht: 2019-11-19T08:10:50+00:00


Exilanten

Jim und Helen Burgess flogen im Juli von New York City nach Maine, um ihren ältesten Enkel, den siebenjährigen Ernie, ins Sommerlager zu bringen. Von Portland aus fuhren sie mit dem Mietwagen weiter, und nachdem sie das Kind abgeliefert hatten, weinte Helen im Auto ein Weilchen; der Junge war noch zu klein, sagte sie Jim immer wieder, um einen ganzen Monat von zu Hause fort zu sein, und Jim meinte jedes Mal, Ernie würde sich schon durchbeißen. Sie waren nun unterwegs nach Crosby, wo Jims Bruder Bob mit seiner zweiten Frau wohnte. Helen hatte Margaret nur einmal getroffen, als Bob sie vor ein paar Jahren nach New York mitgebracht hatte, und Helen hatte ihr angemerkt – es war schwer, es nicht zu merken –, dass ihr die Stadt nicht geheuer war, sie machte ihr Angst – Angst! –, und seitdem kam Bob immer allein nach New York; er kam vielleicht einmal im Jahr.

Helen war fast ein Jahrzehnt nicht mehr in Maine gewesen, und sie blickte interessiert um sich, als sie nach Crosby hineinfuhren. Ihr Weg hatte ein Stück die Küste entlanggeführt, wo die Inseln mit dünnen, geraden Fichten gespickt waren und das Wasser funkelte wie verrückt, und jetzt tauchten am Straßenrand weiße Schindelhäuser auf und dazwischen Häuser aus Stein. Die Sonne schien hell, und auf der Main Street war irgendeine Veranstaltung im Gange; Buden waren aufgebaut, und Leute aller Art schlenderten herum. »Das ist ja richtig hübsch«, sagte Helen, und Jim brummelte etwas Zustimmendes.

Bobs Haus war nicht schwer zu finden; es lag in einer Seitenstraße der Main Street, ein großer alter Ziegelbau mit vier Etagen. Jetzt war es in Eigentumswohnungen unterteilt, und als Helen in der Mittagssonne auf der Eingangsstufe wartete, war sie richtig froh, hier zu sein. Aber bei Margarets Anblick wäre sie fast in Ohnmacht gefallen: Margarets Haare – die beim letzten Mal in einem strähnig blonden, ziemlich schlampigen Dutt gesteckt hatten – waren vollständig grau und hörten bei den Ohren auf.

»Hallo!«, sagte Margaret, und Helen reckte sich hoch, um sie auf die Wange zu küssen, auf der ein bisschen Lippenstift zurückblieb, den Helen mit dem Finger wegzureiben versuchte. »Ups«, sagte sie, aber Margaret sagte: »Ach, denk dir nichts«, und Helen und Jim folgten ihr eine enorm steile Treppe hoch; Bob sei nur kurz Wein kaufen, erklärte Margaret ihnen, und müsse jeden Augenblick zurück sein. Der Läufer auf der Treppe war grau und schmuddelig – Helen wunderte sich etwas –, und als sie Margaret durch die Wohnungstür folgte, wunderte sie sich gleich noch mehr: Die Wohnung war klein, nur zwei Zimmer, eins davon mit Küchenzeile und äußerst merkwürdig eingerichtet, mit einer offensichtlich uralten Couch mitten im Küchenbereich und zwei dazupassenden Sesseln, rot mit einem großflächigen gelben Muster, und von da kam man in das kleine Wohnzimmer; das Schlafzimmer lag anscheinend noch einen Stock höher, denn vom Wohnzimmer führte eine Treppe hoch, aber Margaret sagte nichts dazu, und Helen fragte nicht. »Was für eine nette Wohnung«, sagte Helen, während sie darin herumging, weil Jim gar nichts sagte, sondern nur sein Sakko auszog und sich auf das Wohnzimmersofa setzte.



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