Die Butterbrotbriefe by Carsten Henn

Die Butterbrotbriefe by Carsten Henn

Autor:Carsten Henn [Henn, Carsten]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2023-08-30T22:00:00+00:00


***

Am nächsten Morgen riss Singin’ in the Rain Kati aus dem Schlaf, denn sie hatte es gestern Abend als Klingelton ihres Handys eingestellt.

Sie blickte auf die digital erleuchteten Zahlen des Displays. 6:03 Uhr.

Ebenso schlaftrunken wie hektisch nahm sie den Anruf an. »Hallo?«

»Kannst du zum Haus deiner Mutter kommen?«

»Martin?«

»Wir sollten reden.«

»Ist was passiert? Ist eingebrochen worden?«

»Ich glaube, du weißt, was passiert ist. Komm bitte vorbei, bevor du zur Arbeit gehst.« Er legte auf.

Kati brachte ihre Haare halbwegs in Ordnung, schlüpfte in eine Jeans, streifte sich einen Pullover über den Kopf und fuhr los.

Es war noch dunkel, als sie beim Haus ihrer Mutter eintraf. Dadurch, dass Bettina gerade die Blumenrabatten fraß, wirkte es nicht mehr so einschüchternd wie gestern Nachmittag. Kati strich dem Rentier zur Begrüßung über die Flanke, woraufhin Bettina sie mit dem Kopf anstieß und sich dadurch noch ein paar Streicheleinheiten abholte.

Die große Flügeltür der Gründerzeitvilla stand offen, das Licht brannte in Flur und Wohnzimmer.

Kati wusste, wo sie Martin finden würde.

Er musste heute Morgen kontrolliert haben, ob im Haus alles in Ordnung war. Krankenbesuche für einen dahinsiechenden Palast.

Sie fand ihn mit dem Besen neben den Clownscherben, die er zu vier Buchstaben zusammengekehrt hatte: STOP .

»Bist du unter die bildenden Künstler gegangen?«

»Ich will, dass sich das bei dir einbrennt!«

»In Ordnung, ich werde keine weiteren Clowns ermorden.«

»Das ist nicht lustig! Gewalt ist keine Lösung. Nicht gegen Gegenstände und erst recht nicht gegen Menschen. Diese Gewalt verletzt einen schlussendlich immer selbst. Deshalb musst du mit solchen Aktionen aufhören, Kati. Wirklich.«

Sie entdeckte Handfeger, Kehrschaufel und einen Eimer vor der Vitrine. Kati kniete sich hin und begann, das Wort zu entfernen. »Scherben bringen Glück. Wie beim Polterabend. Etwas endet, etwas Neues beginnt.«

»Nein, das hier bringt kein Glück, Kati. Was kommt als Nächstes? Fackelst du das ganze Haus ab?«

»Die Wut musste raus. Ich bin nicht stolz drauf, aber Massenmord an Porzellanclowns ist nicht strafbar.«

Martin kniete sich zu Kati und ergriff ihre Handgelenke. »Diese Fokussierung auf deine Mutter ist nicht gut für dich. Helga ist tot, lass sie in Frieden ruhen, lass das alles ruhen, und lass es hinter dir.«

Kati bereute jetzt, dass sie nach der Rückkehr aus dem Konzerthaus noch lange mit Martin über alles gesprochen hatte. Sie befreite sich aus seinem Griff. »Kannst du nicht verstehen, dass mich die Sache nicht loslässt? Dass ich wissen will, warum sie so gehandelt, warum sie all die Weichen in meinem Leben so gestellt hat? Obwohl ich in ganz andere Richtungen wollte?«

»Doch, das kann ich, aber du wirst es nie erfahren. Deshalb musst du ja loslassen, je früher, desto besser. Das Leben ist sowieso ein einziges Loslassen. Bis du am Ende sogar alles loslassen musst.«

Kati kehrte das S fort. »Ich brauche gerade keine philosophischen Ratschläge, ich brauche Antworten.«

Martin stand wieder auf. »Du klingst, als hätten wir ein Anrecht auf Antworten und würden diese deshalb irgendwann bekommen. Aber auf die meisten wichtigen Fragen bekommen wir nie eine Antwort, und das müssen wir ertragen.« Er stellte den Besen gegen die Schrankwand. »Du fragst dich, wie dein Leben gewesen wäre, wenn deine Mutter nicht an vielen Fäden gezogen hätte.



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