Deutschland, deine Lehrer by Eichel Christine

Deutschland, deine Lehrer by Eichel Christine

Autor:Eichel, Christine [Eichel, Christine]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blessing, 2014
veröffentlicht: 2015-10-24T16:00:00+00:00


Kapitel 4

Qualitätsoffensive. Wie die Schule gerettet werden soll

Reality check

Als ich die Tür zum Lehrerzimmer öffne, sitzt Frau Dremel am großen Konferenztisch und starrt aus dem Fenster. Nach meiner Begrüßung nimmt sie einen großen Schluck Kaffee und kramt dann zwei Mathebücher hervor.

»Hast du denn schon oft Mathe unterrichtet?«, fragt sie, während sie die richtige Seite heraussucht.

»Nein, noch nie.«

»Ach so? Was sind denn deine Fächer?«

»Gar keins, ich bin gar kein Lehrer.«

Vor Schreck klappt sie das Buch zu und guckt mich mit weit aufgerissenen Augen an.

»Ich habe Erwachsenenbildung studiert und arbeite bis zu den Sommerferien als Vertretungslehrer.«

»Ist ja verrückt«, sagt sie und kratzt sich am Kopf.

Noch verrückter ist, dass ich in etwa siebzig Minuten meine erste Doppelstunde in Mathematik halten soll. Hoffentlich kann mir Frau Dremel bis dahin noch etwas beibringen …

»Also, pass auf«, sagt sie gewichtig, »mit der 4e bin ich auf Seite zweiunddreißig. Am Ende spiele ich mit denen oft Vier-Ecken-Rechnen. Bei der 5b sind wir auf Seite neunundzwanzig, und die hassen Vier-Ecken-Rechnen.«

Es entsteht eine kurze Gesprächspause.

»Hast du sonst noch Fragen?«, will sie dann wissen.

Ob ich sonst noch Fragen habe? Vor allem die hier: Was soll ich im Unterricht mit den Schülern machen? Wie geht das, Lehrersein?

Philipp Möller: Isch geh Schulhof. Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers, Bastei Lübbe 2012, Passage leicht gekürzt

Dies ist ein Beispiel für den Umgang der Bildungspolitiker mit dem, was sie gern Human Ressources nennen. Der Autor dieser grotesken Szene war immerhin Diplom-Pädagoge, als er zum ersten Mal eine Berliner Grundschule als Lehrkraft betrat. Unterrichtet hatte er nie. Er begab sich sozusagen barfuß in die Hölle, und seine Schüler hatten Glück: Liest man Philipp Möllers Berichte aus dem Schulalltag, begegnet man einem engagierten, humorvollen Selfmadelehrer, dem seine Schüler am Herzen liegen, obwohl sie es ihm nicht gerade leicht machen. Möglicherweise hielt der Quereinsteiger aber nur deshalb durch, weil sein schulisches Gastspiel auf zwei Jahre beschränkt war. Wie kam er überhaupt dazu, sich ohne die übliche Lehrerausbildung ans Unterrichten zu wagen?

Während Fachleute diverser Wissenschaftsdisziplinen fieberhaft an einer Qualitätsoffensive für die Schule arbeiten, stehen im Klassenzimmer immer häufiger Lehrer, die gar keine sind. PKB macht’s möglich. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich das Wortungetüm Personalkostenbudgetierung, eine neue, übrigens auch billige Lösung im notorisch unterfinanzierten Schulsystem, um Vertretungslehrer anzuheuern. Man gibt ihnen einen befristeten Arbeitsvertrag und hofft, dass sie sich schon irgendwie durchschlagen werden. So hat es Philipp Möller erlebt. An seinem ersten Schultag wurde er vom Rektor an eine Lehrerin weitergereicht, die ihn in das Geheimnis des Unterrichtens einweisen sollte. Im Crashkurs, zwischen Tür und Angel. Auch das ist Schule in Deutschland. Diese Rahmenbedingungen muss man sich vor Augen halten, wenn man die neuen Konzepte sichtet, die zurzeit proklamiert werden. Eine zukunftsfähige Schule wird da entworfen, mit Lehrern als hochqualifizierten Coaches, mit Schülern, die endlich den Zwängen standardisierter Trichterpädagogik enthoben sind.

Die Pläne sind ehrgeizig. Sie appellieren an die Bildungspolitiker, endlich zum Tigersprung von der Schule der Vergangenheit in die Schule der Zukunft anzusetzen. Umso größer ist der Kontrast zur schulischen Realität. Denn immer häufiger wechseln Quereinsteiger dauerhaft ins Lehramt. Sie



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