Der Horla by Guy de Maupassant & Georg von Ompteda

Der Horla by Guy de Maupassant & Georg von Ompteda

Autor:Guy de Maupassant & Georg von Ompteda [Maupassant, Guy de & Ompteda, Georg von]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Übersetzung, Erzählungen, RawEpub
Herausgeber: Fleischel
veröffentlicht: 1904-12-31T23:00:00+00:00


* * *

Der Vicomte Roger schwieg. Man lachte um ihn herum und jemand sagte:

»Ach, so geht es bei allen Bekehrungen in letzter Stunde zu.«

Das Zeichen

Die kleine Marquise von Rennedon schlief noch in dem großen, verhängten, duftenden Zimmer in ihrem mächtigen niedrigen, molligen Bett, unter den Tüchern aus leichtem Batist, fein wie Spitzen, schmeichelnd wie ein Kuß. Sie lag allein, ruhig, in jenem glücklichen, tiefen Schlummer der geschiedenen Frau.

Stimmen, die lebhaft im kleinen, blauen Salon sprachen, weckten sie auf. Sie erkannte ihre geliebte Freundin, die kleine Baronin von Orangerie, die sich mit der Kammerfrau zankte, weil diese sie nicht herein lassen wollte.

Da stand die kleine Marquise auf, schob den Riegel zurück, schloß auf, hob den Vorhang empor und steckte den Kopf heraus, nur ihren blonden, in einer Wolke von Haaren verborgenen Kopf.

»Nanu, was ist denn los, daß Du so früh herkommst, es ist ja noch nicht neun.«

Die kleine Baronin, die sehr bleich, nervös und fieberhaft erregt war, antwortete:

»Ich muß Dich durchaus sprechen, mir ist etwas Fürchterliches passiert.«

»So komm herein.«

Sie trat ein, sie küßten sich und die kleine Marquise legte sich wieder zu Bett, während die Kammerfrau die Fenster öffnete, Luft und Licht herein zu lassen. Als die Dienerin fort war, sagte die kleine Marquise:

»Also, nun erzähle mal.«

Die Baronin fing an zu weinen, vergoß jene niedlichen, klaren Thränen, die den Frauen zum Entzücken stehen und stammelte, ohne sich die Augen abzuwischen, um sie ja nicht rot zu reiben.

»O, liebe Freundin, mir ist etwas Schreckliches passiert, etwas ganz Schreckliches. Ich habe die ganze Nacht nicht eine Minute geschlafen, denke doch, nicht eine Minute; fühle mal, wie mein Herz schlägt.«

Und sie legte die Hand ihrer Freundin auf ihre Brust, auf diese feste, runde Hülle der Frauenherzen, die den Männern oft genügt, sodaß sie nicht auf den Gedanken kommen, es müßte auch etwas darunter sein. Ihr Herz schlug allerdings stark.

Sie fuhr fort:

»Es ist mir gestern gegen vier Uhr oder halb fünf Uhr nachmittags passiert. Ich weiß nicht mehr genau, wann. Du kennst ja meine Wohnung, weißt Du, meinen kleinen Salon, da, wo ich immer bin, dessen Fenster auf die Straße Saint-Lazare gehen, im ersten Stock. Du weißt, daß ich die Angewohnheit habe, aus dem Fenster zu gucken, um mir die Vorübergehenden anzusehen. Dieses Stadtviertel da am Bahnhof ist so amüsant, soviel Leben ist dort, soviel zu sehen. Kurz, ich mag es gern. Also gestern saß ich auf dem niedrigen Stuhl, den ich mir in der Fensternische habe machen lassen; das Fenster stand offen und ich dachte an nichts. Ich sog die blaue Luft ein. Du erinnerst Dich, wie schön es gestern war.

Plötzlich sehe ich, daß auf der andern Seite der Straße an einem Fenster auch eine Frau sitzt, rot angezogen. Ich hatte mein hübsches malvenfarbiges Kleid an, weißt Du … .

Ich kannte diese Frau nicht. Sie mußte eine neue Mieterin sein, die erst seit einem Monat dort wohnt, und da es doch seit einem Monat regnet, habe ich sie noch nicht gesehen. Aber ich merkte sofort, daß es nichts Anständiges sein konnte. Zuerst ekelte sie



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