Das Geschlechter-Paradox by Pinker Susan

Das Geschlechter-Paradox by Pinker Susan

Autor:Pinker, Susan [Pinker, Susan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-04-03T23:00:00+00:00


Die sogenannte gläserne Decke

Man konnte sich kaum einen größeren Kontrast zu Sandras elegantem Haus vorstellen als das Frühstückslokal im Stadtzentrum, in dem ich mit Caroline verabredet war. Als ich um 8 Uhr morgens beladen mit meiner Aktentasche und meinem Übernachtungsgepäck dort aufkreuzte, wartete sie bereits auf mich, vor sich eine leere Kaffeetasse und eine aufgeschlagene Zeitung. Leicht amüsiert deutete sie auf die Schlagzeile: »Können Rechtsanwälte zu schwul für einige Firmen sein?« Wir waren umringt von lauter Leuten mit trüben Augen, die versuchten, sich aus ihrer Schlaftrunkenheit zu reißen. Ganz in der Nähe lagen die Regierungsgebäude, in denen Caroline als Juristin arbeitete, und so bestand die Klientel des Lokals aus Bürokraten in Anzügen und Oxfordhemden, gemischt mit Büroangestellten und ein paar Männern, die aussahen, als hätten sie die Nacht auf der Straße verbracht. Carolines weiße Strickjacke und ordentliches Schulmädchen-Outfit schrie geradezu: Lehrerin! Bibliothekarin! Sanftmütige, freundliche Person! Doch schon nach wenigen Worten war mir klar, dass es ein schwerer Fehler wäre, sie zu unterschätzen. Falls ich je ernsthafte rechtliche Probleme bekäme, hätte ich sie gern an meiner Seite, damit sie mir mit leiser Stimme Instruktionen ins Ohr flüstert. Leider wird das jedoch nicht möglich sein, da sie kurz nach ihrer Beförderung zur Partnerin aufgehört hat, als Rechtsanwältin zu praktizieren.

Caroline hatte mein Interesse geweckt, weil sie wie Sandra eine erfolgreiche Topanwältin und hochintelligent war. Sie hätte jede erdenkliche Tätigkeit ausüben können – und hatte tatsächlich mehrere Optionen ausprobiert, bevor sie sich für eine Stelle im öffentlichen Dienst entschied. Mit einem geisteswissenschaftlichen Doktortitel in der Tasche hätte ihr auch eine Laufbahn an der Universität offengestanden. Sie habe sich jedoch dafür entschieden, erklärte sie mit einem selbstironischen Lächeln, dass sie lieber die Welt verändern wollte. Durch »einen äußerst glücklichen Zufall« war sie von einer Spitzenkanzlei eingestellt worden, wo sie zehn Jahre blieb und zur Partnerin avancierte, obwohl sie zweimal einen ausgedehnten Mutterschaftsurlaub einlegte. Dass es ihr möglich gewesen sei, nach den Geburten fast ein Jahr zu Hause zu bleiben, spiegele eine jüngere Veränderung im Arbeitsklima der Anwaltsfirmen wider, meinte sie, denn nur einige Jahre zuvor hätten Frauen höchstens zwei Monate ausgesetzt.

Caroline war außerdem mit einem Mann verheiratet, der die Rolle des Hausmanns übernahm, als die Kinder klein waren. Jetzt, wo die Kinder ein bisschen älter waren, arbeitete er Teilzeit und erledigte den Löwenanteil der Familienarbeit: Er fuhr die Kinder zur Schule und holte sie wieder ab, kümmerte sich um sie, wenn sie krank waren, sorgte dafür, dass der Kühlschrank voll war, und füllte all die zahllosen unsichtbaren Lücken, die ein Elternteil, der zu Hause bleibt, füllt. Kinderbetreuung und Hausarbeit seien Phantomprobleme, meinte Caroline. In ihrem Fall liege die Hauptverantwortung für die Kinder bei ihrem Mann, aber »auf dieser Einkommensstufe macht das sowieso keinen Unterschied«, urteilte sie kategorisch über Rechtsanwältinnen und Kinderbetreuung. Bei den meisten seien Kinderfrauen die Regel. Obwohl Caroline das Pendant zur vielbeneideten »Ehefrau, die einem den Rücken freihält« zu Hause hatte (nach Ansicht vieler berufstätiger Frauen das A&O des männlichen Erfolgs), hatte sie ihre Anwaltstätigkeit gegen einen Arbeitsplatz eingetauscht, an dem sie nur einen Bruchteil ihres bisherigen Einkommens bezog.



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