Das anständige Unternehmen by Sprenger Reinhard K
Autor:Sprenger, Reinhard K. [Sprenger, Reinhard K.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2015-09-29T16:00:00+00:00
WEIBLICHWERDEN
Die Pathologisierung des Mannes
Seit dem Siegeszug der Psychologie Anfang des 19. Jahrhunderts gilt das Individuum als therapiebedürftig. Was eine riesige Korrekturindustrie in Gang brachte, die sich in nahezu allen Belangen berufen fühlt, Menschen anzuleiten. Unablässig ruft man uns zu, dass wir uns verbessern müssen. Der Soziologe Niklas Luhmann, der seinen Mitarbeitern bei Dienstantritt in Bielefeld gesagt haben soll, er brauche nur Stifte, Blöcke und ansonsten seine Ruhe, würde heute wahrscheinlich mit Maßnahmen zur Förderung seiner Sozialkompetenz beglückt.
Auch der moderne Manager ist ein therapeutisch definiertes Subjekt. Auch ihm wird nahegelegt, sich selbst zu überprüfen und im Zweifelsfall professionelle Hilfe zu nutzen. Und seit die Idee der »guten Führung« populär wurde, gibt es einen Standard, an dem er sich messen lassen muss. Wer von diesem Standard abweicht, gilt als defizitär, positiv gewendet: als optimierbar.
Feminisierung
Um diesen Standard zu verstehen, müssen wir kurz in die zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hinabtauchen, zum Einzug der Psychologie in die Wirtschaftsorganisationen. Kein Forscher hatte seinerzeit (und hat bis heute) so viel Einfluss wie der australische Soziologe Elton Mayo (1880–1949) mit seinen Untersuchungen in den Hawthorne-Werken der Western Electric Company. Wir können die Forschungsdesigns hier vernachlässigen und gehen direkt zu den Ergebnissen, die Mayo zu seiner Theorie der »Human Relations« verdichtete. Es war nichts weniger als ein völlig neues Führungsmodell. Die Persönlichkeit der Führungskraft war nun der erfolgskritische Faktor (nicht mehr Maschinen und Produktionsverfahren; aus Wien grüßte Sigmund Freud). Diese Führungskraft konnte menschliches Verhalten »lesen«, sich einfühlen, mit Arbeitern kommunizieren, sie »entwickeln« und »motivieren«. Im Wesentlichen ging es darum, zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten.
Das kommt uns Heutigen bekannt, ja vertraut vor; so hören wir es seit Jahrzehnten. Der vielleicht bemerkenswerteste Aspekt wurde zunächst von Mayo selbst nicht realisiert und wird in der Überlieferung seiner Ergebnisse bis heute meist übergangen: Mayos Probanden waren ausnahmslos Frauen. Mayos Ergebnisse waren also, wenn man einen Unterschied der Geschlechter grundsätzlich anerkennt, äußerst geschlechtsspezifisch. Sie spiegelten die Art und Weise, wie Frauen den Arbeitsplatz erlebten, was sie für richtig, moralisch und produktiv hielten. Die Idee der »guten Führung« wurde daher umdefiniert zu einer neuen Konzeption, in der sich das Vokabular des Weiblichen mit dem Vokabular des organisatorisch Wünschbaren innig verband. Sieht man von einer »reaktionären« Unterbrechung dieser Tendenz durch den Zweiten Weltkrieg ab, so wurden ab Ende der fünfziger Jahre die Stereotype einer »guten« Führungskraft mit Frauenstereotypen zunehmend kongruent. Traditionelle, auf Autorität und Sachkompetenz beruhende Führung wurde verworfen und durch emotionale und psychologische Eignungskriterien ersetzt. Gleichzeitig wurde eine Parallele zwischen der Familie und dem Arbeitsplatz konstruiert, die die Organisation mit dem Einzelnen harmonisiert und Interessengegensätze wegideologisiert. In unterschiedlichen Formen hält sich das bis heute.
Fragt man also nach den Standards moderner Führungskräfteentwicklung, so offenbart sich ein dunkles Geheimnis: Es sind Einstellungen und Verhaltensweisen, die man traditionell als »weiblich« bezeichnet.
Männer haben offenbar von Geburt an einen Fehler. Deshalb wird ihnen, schaut man genau hin, auf Führungsseminaren seit vielen Jahren ein weiblicher Führungsstil eingebläut: Empathisch soll man(n) sein, nahbar, friedfertig, niemanden in die Defensive drängen, negative Gefühle kontrollieren, indirekt formulieren, Fehler zugeben, ein Mediator sein – so steht es in allen Ratgebern, so predigen es die Trainer.
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