Behaviorismus und Erkenntnistheorie im psychologisch-historischen Kontext by Mack Wolfgang Lück Helmut E
Autor:Mack, Wolfgang,Lück, Helmut E.
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Peter Lang AG
Am 11.9.63 schrieb Karl Jaspers an den Leiter der Pressestelle des Hamburger Senats, Erich Lüth: „Die Sache scheint mir immer wichtiger zu werden. Ich verfolge sie mit größtem Interesse. Es (sic) wird vielleicht zum Anlass werden, dass dieses Deutschland sich offenbart.“ (StA Hamburg, 135-1-VI, sig. 1218). Jaspers bezog sich auf die Debatte um geschichtspolitische Stellungnahmen des Psychologen Peter Robert Hofstätter. Der Hamburger Professor hatte im Juni des Jahres mit zwei Beiträgen in der ZEIT gegen die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit polemisiert. Er hatte sich sowohl dagegen ausgesprochen, NS-Täter vor Gericht anzuklagen ← 133 | 134 → (Bewältigte Vergangenheit?, In DIE ZEIT, NR. 25/1963) als auch dagegen, die Nazizeit im Geschichtsunterricht zu thematisieren (Was verspricht man sich vom Schulfach Zeitgeschichte?, In DIE ZEIT, NR. 26/1963). Es folgten Leserbriefe – kritische und zustimmende. Zu einem breiten öffentlichen Echo kam es aber erst nach einer Veranstaltung des Liberalen Studentenbundes, auf der Hofstätter den Judenmord als Kriegshandlung bezeichnete. Der jüdische Künstler und Hamburger Remigrant Arie Goral erstattete Anzeige, Hofstätter gab bald darauf dem SPIEGEL ein Interview, in dem er seine Thesen wiederholte, und eine Flut von Leserbriefen sowie eine Serie von Zeitungsartikeln folgten. Die Dynamik dieses „kleinen Skandals“ (Bergemann 1997, S. 290) war zeithistorisch symptomatisch. Er fiel in eine Phase geschichtspolitischer Weichenstellungen: Wenige Jahre zuvor hatte der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 das Massenmorden sowie die Präsenz der Täter in der bundesdeutschen Gesellschaft erstmals seit Staatsgründung stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Zugleich erzeugten antisemitische Vorfälle politischen Handlungsdruck. Der Prozess gegen Eichmann in Jerusalem 1961, der bevorstehende erste Auschwitz-Prozess in Frankfurt/M. ab Dezember 1963 sowie die anstehende Verjährungsfrist für NS-Morde brachten das Thema in die Medien. Dass die NS-Verbrechen im Verlaufe der sechziger und siebziger Jahre allmählich einen Platz im kulturellen Gedächtnis der bundesdeutschen Gesellschaft fanden, war dabei nicht allein dem Generationswechsel geschuldet, sondern resultierte aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, zu dem auch das Engagement Einzelner gegen den mainstream der Zeit gehörte. Diese Arbeit für die politische Kultur der Bundesrepublik wurde wesentlich von jüdischen Rückkehrern geleistet.
Der Beitrag verfolgt zwei Fragestellungen. Erstens geht es um die Verbindung zwischen dem Psychologen und dem Publizisten Hofstätter. In der psychologiehistorischen (bspw. Métraux, 1985) und zeithistorischen (bspw. Bergemann, 1997) Tradierung stehen Hofstätters Leistungen als Psychologe und sein publizistisches Auftreten gegen die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen unverbunden nebeneinander, auch dann, wenn beide Aspekte seines Wirkens besprochen werden (Rösgen, 2008). Diese Entkopplung soll mit Blick auf die geschichtspolitischen Aussagen in Hofstätters Werken, die der Popularisierung der Sozialpsychologie in den fünfziger Jahren dienten, und seine Kontroverse mit Adorno ← 134 | 135 → über die Gruppenexperimente der Frankfurter Schule 1957 hinterfragt werden. Zweitens soll die argumentative Konfiguration des „Falls Hofstätter“ 1963 genauer betrachtet werden. Thematische Klammer ist die Stellung des Wissenschaftlers in der politischen Kultur seiner Zeit. Hofstätter sah die Aufgabe der Wissenschaft darin, „in die Mannigfaltigkeit unserer Erfahrungen Ordnung zu bringen [und] Orientierung zu erleichtern“ (Hofstätter, 1957a/1963, S. 10). Was hieß dies bezogen auf die NS-Vergangenheit in Deutschland? Immerhin hatte gerade das Wissen um den Holocaust in den USA und in Westeuropa sozialpsychologische Forschungen stimuliert.
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