Aus meinem Leben by Eduard Hanslick

Aus meinem Leben by Eduard Hanslick

Autor:Eduard Hanslick [Hanslick, Eduard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Zeno.org
veröffentlicht: 2015-06-28T22:00:00+00:00


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Zu Ende der fünfziger Jahre wohnte ich auf dem Minoritenplatz in einem der alten, unregelmäßig um die Kirche herum gebauten Häuser, welche, ein Leckerbissen für Wiener Geschichtsforscher, nunmehr ihrer wohlverdienten Demolierung entgegensehen. Ich hatte eine geräumige Stube als »Zimmerherr« inne, d.h. als Aftermieter einer keifenden, alten Witwe, welche zwei Zimmer an[209] ledige Herren so gut vermietete, daß ihr eigenes, drittes, ihr gratis verblieb und noch etwas darüber. Der zweite Zimmerherr wohnte auf demselben Flur, meiner Stube gegenüber. Ich habe ihn nie gesehen und hörte nur, daß es ein kränklicher, alter Herr sei. Eines Morgens sah ich seine stets versperrte Türe angelweit offen und die böse Sieben mit krampfhafter Tätigkeit in dem Zimmer herumwüten. »Wo ist denn der kranke, alte Herr?« fragte ich erstaunt. »Gestern Abend gestorben – aber is schon fort, is schon fort. Hab' ihn gleich in die Totenkammer expediert.« Ein ärgerlicher Seufzer der Frau, von heftigem Reiben der weißen Nase begleitet, galt offenbar nicht dem verstorbenen Bewohner, sondern dem Leerstehen des Zimmers. Es ist aber nicht lange unbewohnt geblieben. Drei Tage, nachdem der erste »expediert« war, zog ein anderer ein. Ich habe nach seinem Namen nicht gefragt und ihn Wochen lang nicht zu Gesicht bekommen. Das geht so in großen Städten; man weiß nicht, wer neben einem lebt oder stirbt. Da treffe ich eines Tages auf der Treppe den Komponisten Robert Volkmann. Er war mein neuer Zimmernachbar. Ich freute mich dieser Entdeckung, denn Volkmann war mir nicht bloß als Tondichter lieb und wert, sondern auch als Mensch. Sein anspruchsloses, wohlwollendes Wesen, der schöne Ernst seiner künstlerischen Anschauung und Tätigkeit berührte mich sympathisch. Aber ein Verkehr mit ihm kam doch nicht zustande. Ein Besuch meinerseits, ein Gegenbesuch seinerseits – das war alles. Volkmann war nämlich ein noch größerer Schweiger als Schumann, also – mit Wagner zu sprechen – ein ebenso »unmöglicher Mensch«. Der dritte im Bunde der berühmten musikalischen Schweiger war, merkwürdig genug, ein Franzose: Felicien David, der Komponist der »Wüste«. An seinen Generalpausen scheint aber nicht zurückgedrängte Gedankenfülle schuld gewesen zu sein, sondern vielmehr der Mangel an Gedanken. David war eine so überaus »einfache« naive Natur, daß man sich in Leipzig verwunderte, wie Robert Schumann Stunden lang mit ihm aushalten könne. »Ich mag ihn gern,« erklärte Schumann – »er spricht so wenig.« Das hat auch mein Volkmann meisterhaft getroffen. Schweigend saß er neben mir, das blasse, graublonde Haupt vorgeneigt, und sah mich mit seinen guten, müden Augen an, die nur durch den tief herabhängenden Schnurrbart ein Relief erhielten. Die zuwartenden Pausen, an denen ich es nicht fehlen ließ, genierten ihn wenig; er unterbrach sie nur mit kurzen Worten. Obwohl[210] wir einen Winter lang Tür an Türe wohnten, haben wir miteinander keine zwanzig Worte gesprochen. Und doch wußte ich genau, daß er mir von Herzen wohlwollte, sowie auch er von meiner Hochschätzung Beweise hatte. Volkmann hat mir noch viele Jahre später seine freundschaftliche Gesinnung bewiesen, als ich eine Vorlesung in Pest gab. Er machte, obwohl schon leidend, abends den weiten Weg von der Festung Ofen herab, wo er wohnte, um meine Vorlesung durch seine Gegenwart auszuzeichnen.



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