Vater Goriot by Honoré de Balzac

Vater Goriot by Honoré de Balzac

Autor:Honoré de Balzac [Balzac, Honoré de]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-05T16:00:00+00:00


Sie nahm seine Hand und legte sie mit einer Bewegung voll liebenswürdiger Dankbarkeit an ihr Herz.

»Dank Ihnen bin ich wieder frei und fröhlich. Ich lebte wie unter dem Druck einer eisernen Faust. Von nun an will ich ein einfaches Leben führen und nichts verschwenden. Ich werde Ihnen gefallen, so wie ich bin, mein Freund, nicht wahr? – Behalten Sie das!« sagte sie, nur sechs Tausendfrankenscheine annehmend. »In Gedanken schulde ich Ihnen tausend Taler, denn es ist mein fester Vorsatz, mit Ihnen halbpart zu machen.«

Eugen sträubte sich wie ein junges Mädchen. Aber als ihm die Baronin sagte: »Ich betrachte Sie als meinen Feind, wenn Sie nicht mein Mitschuldiger werden wollen«, nahm er das Geld. »So sei es denn ein Anlagekapital für den Fall der Not«, sagte er. »Das ist es, was ich befürchtete!« rief sie erbleichend. »Wenn ich Ihnen wirklich etwas bedeute, so schwören Sie mir,« sagte sie, »nie mehr zum Spiel zurückzukehren! Mein Gott, ich Sie ins Laster treiben! Ich stürbe vor Leid!«

Sie waren angekommen. Der Gegensatz ihres Elends und dieser Üppigkeit erschreckten den Studenten, in dessen Ohren die unheilvollen Worte Vautrins widerhallten.

»Setzen Sie sich dorthin!« sagte die Baronin, als sie in ihr Zimmer traten, und zeigte auf einen Lehnstuhl beim Fenster. »Ich habe einen schweren Brief zu schreiben. Raten Sie mir!« »Schreiben Sie nicht,« sagte Eugen, »packen Sie die Scheine in einen adressierten Umschlag und lassen Sie sie durch Ihre Kammerzofe hintragen.« »Aber Sie sind ja ein wundervoller Mann!« entgegnete sie. »Da sieht man, was es bedeutet, mein Herr, eine gute Erziehung gehabt zu haben. Was Sie da sagten, war Beauséant vom reinsten Wasser«, sagte sie lächelnd. ›Sie ist entzückend‹, dachte Eugen, der sich mehr und mehr verliebte. Er sah sich im Zimmer um, das die wollüstige Pracht einer reichen Kurtisane aushauchte.

»Gefällt es Ihnen?« fragte sie, als sie der Kammerzofe klingelte. »Therese, bringen Sie das zu Herrn von Marsay, und übergeben Sie es ihm persönlich! Sollten Sie ihn nicht antreffen, so bringen Sie mir den Brief zurück!«

Therese entfernte sich, nicht ohne auf Eugen einen maliziösen Blick geworfen zu haben. Das Diner war aufgetragen. Rastignac bot Frau von Nucingen den Arm und wurde in einen wundervollen Speisesaal geführt, wo er dieselbe Tafelpracht gewahrte, die er bei seiner Cousine bestaunt hatte.

»An allen Tagen der Italienischen Oper,« sagte sie, »kommen Sie zum Speisen zu mir und begleiten mich nachher.« »Ich würde mich gern an dieses schöne Leben gewöhnen, wenn es von Dauer sein könnte; aber ich bin ein armer Student, der sein Glück erst machen muß.« »Es wird sich machen«, sagte sie lächelnd. »Sie sehen, alles läßt sich einrichten: ich hatte nicht gehofft, heute noch so glücklich zu sein.«

Es liegt in der Natur der Frauen, das Unmögliche am Möglichen zu beweisen und unangenehme Tatsachen durch angenehme Hoffnungen zu zerstreuen. Als Frau von Nucingen und Rastignac in ihre Loge traten, blickte sie so befriedigt drein und war so schön, daß jedermann sich jene kleinen Verleumdungen gestattete, gegen die die Frauen wehrlos sind. Wer Paris kennt, glaubt nichts von dem, was man sich hier erzählt, und erzählt nichts von dem, was sich tatsächlich zuträgt.



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