Richter 11 by Gulik

Richter 11 by Gulik

Autor:Gulik
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-02-04T05:00:00+00:00


Vierzehntes Kapitel

Ein großer Militärtragstuhl brachte Richter Di und seine drei Adjutanten zum Haus von Yi. In einem zweiten folgten der Leichenbeschauer und sein Gehilfe. Der Nebel hatte sich zu dünnem, aber feuchtem Dunst gelichtet; die menschenleeren engen Straßen flimmerten in der heißen Luft.

Es war Doktor Lu, der die kleine Tür in dem eisernen Tor öffnete. Bestürzt schaute er den Richter an.

»Ich … ich hatte jemanden von der Stadtverwaltung erwartet, Euer Exzellenz. Ich …«

»Ich habe beschlossen, den Fall selber in die Hand zu nehmen«, erklärte ihm der Richter kurz angebunden. »Bringt uns hin.«

Doktor Lu verneigte sich devot. Sie durchquerten dieselben Höfe wie bei ihrem letzten Besuch hier. Als sie in dem ummauerten Garten waren, führte der Arzt sie jedoch nicht zu der Tür mit dem goldlackierten Schnitzwerk, sondern in einen seitlich liegenden Raum, bei dem es sich offensichtlich um Frau Yis Schlafgemach handelte. Ohne sich mit einer Betrachtung der eleganten Rosenholzmöbel aufzuhalten, ging Richter Di unverzüglich zu dem Bett mit Baldachin, auf dem die Tote lag, bedeckt mit einem weißen Tuch. Er schlug das obere Ende zurück. Ein Blick auf das verzerrte Gesicht mit der heraushängenden und stark geschwollenen Zunge genügte. Der Richter hieß den Leichenbeschauer und seinen Gehilfen, sich ans Werk zu machen. Nachdenklich sah er auf die Zofe, die an der Bettecke auf dem Fußboden kauerte und krampfhaft schluchzte. Er beschloß, sie erst nachher zu vernehmen. Dann drehte er sich um und ging hinaus, gefolgt von Doktor Lu. An dem kleinen Lotosteich standen seine drei Adjutanten. Richter Di setzte sich auf den flachen Steinsitz dort und fragte Lu:

»Wann habt Ihr sie gefunden?«

»Vor erst einer halben Stunde, Euer Exzellenz. Ich war gekommen, um nachzuschauen, wie es Frau Yi gesundheitlich gehe. Die Ermordung ihres Gemahls war für sie natürlich ein schwerer Schock, und ich machte mir Sorgen, daß sie …«

»Das ist unwichtig. Kommt zur Sache!«

Der Arzt sah ihn verletzt an. In resigniertem Ton fuhr er fort:

»Die Zofe Cassia führte mich sogleich zum Schlafgemach. Sie sagte, sie wäre froh, daß ich gekommen sei, denn ihre Herrin habe, als sie ihr den Morgentee brachte, auf ihr Anklopfen nicht geantwortet, und die Tür wäre von innen versperrt gewesen. Wenn Frau Yi sich einschließe, bedeute das immer, daß sie eine schlechte Nacht gehabt habe und gedrückter Stimmung sei. Ich sagte, ich werde ihr ein Beruhigungsmittel verabreichen, klopfte an und rief, daß ich es sei, der sie besuchen komme. Nachdem ich das mehrmals wiederholt hatte, ohne jedwede Reaktion auszulösen, fürchtete ich, sie sei während der Nacht krank geworden und bedürfe sofortiger Behandlung. Ich bat die Zofe, ihren Sohn zu holen, und der schlug dann die Tür mit einem Beil ein.«

Lu befingerte seinen kurzen Kinnbart und schüttelte den Kopf.

»Sie hing vom mittleren Deckenbalken herab, Euer Exzellenz. Wir schnitten das Seil sofort durch, aber ihr Körper war bereits kalt und steif. Allem Anschein nach hatte sie den Toilettentisch in die Mitte des Zimmers gerückt, und da ein umgekippter Stuhl auf dem Fußboden lag, muß sie diesen auf die Tischplatte gestellt haben, hinaufgestiegen sein, sich die Schlinge um den Hals gelegt und den Stuhl dann mit den Füßen weggestoßen haben.



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