Restlaufzeit: Wie ein gutes, lustiges und bezahlbares Leben im Alter gelingen kann (German Edition) by Schumacher Hajo

Autor:Schumacher, Hajo [Schumacher, Hajo]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Eichborn Verlag
veröffentlicht: 2014-09-15T22:00:00+00:00

Wie lecker. Heute gibt es Kassler mit Kartoffelpüree und Sauerkraut. Hans feiert seinen 50. Geburtstag. Auf dem Tisch stehen Whisky und Wodka und lustige bunte Spitzhüte. Heute wird wieder mal gefeiert, so wie fast jeden Abend, mal mit Erbsensuppe, mal mit Schweineschnitzel, aber immer bis zum Vollrausch.

Drei der sechs Männer haben Thai-Mädchen neben sich sitzen, die ihre Töchter sein könnten. Die Mädchen lächeln, auch wenn sie weder die Saufsprüche verstehen noch die Texte der Ballermann-Hits, die angestimmt werden. Die Kneipe heißt »Forever Young« und ist die Trinkhalle der einige hundert Meter entfernt liegenden »Villa Germania«, einem elfgeschossigen Apartmenthochhaus, nah am Strandort Pattaya, knapp zwei Autostunden von der Hauptstadt Bangkok entfernt.

Zwischen Baustellen, Brachen und Müllhaufen leuchten gestreifte Markisen und HSV-Fahnen um die Wette. Hier wohnen überwiegend deutsche Männer ab 50: frühpensionierte Polizisten, die den Streifendienst nicht mehr ertrugen, Monteure, die ihre Jobs an osteuropäische Konkurrenten verloren, Bankangestellte, die wegrationalisiert wurden. Die Hälfte lebt dauerhaft hier, die anderen überwintern im Goldenen Dreieck von Balkon, Bier und Bumslokal. Von den oberen Stockwerken kann man das Meer sehen und die »Walking Street« erahnen, das weltweit berüchtigte Rotlichtviertel von Pattaya, das noch immer als Paradies für den alleinstehenden Herrn gilt.

Seit Russen und zunehmend Chinesen die Anmach-Bars und Go-go-Schuppen bevölkern, hat sich das Klima allerdings verhärtet. Deutsche Kneipiers fliehen, es wird viel geschossen. Wo früher wenigstens noch ein Hauch von Exotik die Puffmeile umwehte, herrscht heute organisierte Kriminalität und systematische Abzocke. Die Versuche der Tourismusbehörde, Pattaya zum Familienstrand umzubauen, sind ungefähr so vielversprechend, als wolle man den mallorquinischen Ballermann in ein Literaturcafé verwandeln.

In der Villa Germania wird trotzig am Thai-Traum festgehalten. In 100 Apartments leben überwiegend Herren zwischen 50 und 70plus aus, wovon sie ihr Leben lang träumten: Sonne, Alkohol zum Frühstück, gelegentlich Angeln, Skat und natürlich Bundesliga, dazu rezeptfrei Viagra und Frauen zum Festpreis: Für 400 Euro im Monat mietet sich der Herr eine junge Thai, die so tut, als habe sie kein Problem mit Nagelpilz, Viszeralfett und zweifelhaftem Benehmen.

Der Lebensabend und die Jahre davor als täglicher Junggesellenabschied – forever young bis zur Leberzirrhose. Und Horst und Ingo, beide Jahrgang 1945, immer mittendrin. Horst Thalwitzer hat die Villa Germania erfunden. Vor zwanzig Jahren hatte der frühere Verkaufsfahrten-Einpeitscher den Erbauer des schmucklosen Baus auf dem Golfplatz kennengelernt. Zwei Jahre später waren 60 der 100 Wohnungen verkauft. Thalwitzer hatte mit Anzeigen in deutschen Zeitungen Besichtigungsflüge angeboten, kleines Spaßprogramm inklusive. Wer kaufte, bekam den Flugpreis erstattet. Ein gutes Investment: Die Immobilien haben ihren Wert seither verdoppelt. Eine Wohnung mit 40 Quadratmetern kostet heute etwa 31 000 Euro.

Die Zukunft allerdings ist ungewiss. Der Zustand der Liegenschaft ähnelt dem seiner Bewohner: Tendenz verfallend. Die Großbaustellen für gigantische neue Apartmenthäuser kommen immer näher, die Furcht vor einer Immobilienblase ist allgegenwärtig. Zugleich wächst in Sihanoukville im nahen Kambodscha die billige Konkurrenz heran, wo Phantasien sprießen wie vor dreißig Jahren in Pattaya.

Ein bizarres Alleinstellungsmerkmal bietet die Villa Germania allerdings noch immer. Hier erzählt man sich ausdauernd das Märchen von einem guten, alten Deutschland: ausländerfrei, frauenquotenfrei, gemütlich halt. Dieses patriarchische Traumland wird nun in Pattaya gelebt.

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