Problematische Naturen. Zweite Abtheilung (Durch Nacht zum Licht) by Spielhagen Friedrich
Autor:Spielhagen, Friedrich
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00
Und muß nun sterben so jung!
Helene dachte des Bildes im Traum, des blassen Gekreuzigten, der so wehmuthvoll sein Haupt schüttelte, als der Priester über sie den Segen sprach; und sie dachte an den Dolch, der bis zum goldenen Griff ihm in die Seite gestoßen war, und an die Blutstropfen, die lang und langsam herunterfielen, und sie drückte schaudernd ihr Antlitz in beide Hände.
Fünfundzwanzigstes Capitel
Oswald war in dieser Zeit haltloser und unglücklicher, als er es je gewesen. Bergers Lehre von der dreimaligen Verachtung war ein böser Same, der bei ihm auf einen nur zu fruchtbaren Boden gefallen. Und seit er sich von Melitta verrathen glaubte, um mit größerer Leichtigkeit an ihr zum Verräther werden zu können, hatte er den besten Theil seiner Selbstachtung unwiderbringlich eingebüßt. Es half ihm nicht, daß er bei dem Bruch seines Verhältnisses zu Melitta alle Schuld auf sie wälzte, daß er sie eine herzlose Kokette nannte, die ihn auf die schmählichste Weise betrogen habe und jetzt in den Armen ihres Buhlen über das arme Opfer lache. Immer wieder raunte ihm eine Stimme, die nicht zum Schweigen zu bringen war, zu: Du lügst, Du lügst! ein Weib, das so tiefe, liebevolle Augen hat, ist nicht herzlos; ein Weib, das solcher Liebe fähig ist, ist keine Kokette; ein Weib, das so edel fühlt und denkt, verräth den Mann nicht, von dem sie weiß, daß sie sein Glück und seine Seligkeit ausmacht.
Und selbst seine Liebe zu Helene war nur noch ein schwacher Abglanz jener himmlisch reinen Flamme, die während seiner Liebe zu Melitta sein Herz, wie der Mond die Nacht, erhellt hatte. Es war in dieser Liebe viel von dem düster lodernden Feuer einer gierigen, verzehrenden Leidenschaft, einer Leidenschaft, die keine heilige Scheu vor ihrem Gegenstande kennt.
Zu dem Allem kam, daß er sich in seiner Stellung grenzenlos unbehaglich fühlte. Seine Thätigkeit am Gymnasium widerte ihn an, nachdem er kaum damit begonnen hatte. Schon die dumpfe Luft einer Schulstube und der Lärm einer ausgelassenen Knabenschaar waren eine Qual für seine überreizten Nerven. Und nun die Herren Collegen: dieser von verwaschener Humanität überfließende Director Clemens; dieser stocksteife, hölzerne Professor Snellius; dieser bei so wenig Witz so äußerst behagliche Doctor Kübel; diese gelehrten Löwen Wimmer und Breitfuß? Gulliver, als er den Jahoo's begegnete, konnte gegen sie keinen größeren Widerwillen empfinden, als Oswald gegen diese Schaar, mit der in tagtägliche genaue Berührung zu kommen, seine Stellung ihn zwang. Und diese Jahoo's waren noch dazu äußerst zuvorkommend und zuthunlich; schienen gar keine Ahnung ihrer Häßlichkeit zu haben; überhäuften den Ankömmling mit allen möglichen Liebenswürdigkeiten; luden ihn unablässig zu Kegelabenden, Whistpartien, ästhetischen Thee's und dramatischen Lesekränzchen ein! schienen sich an seine reservirte Haltung, an seine zurückweisende Kälte gar nicht zu kehren – im Gegentheil, das Alles nur für die Unbehülflichkeit eines jungen Mannes zu halten, der sich noch nicht eben viel in guter Gesellschaft bewegt hat und nothwendig aufgemuntert werden muß. Auch die Damen mußten von dieser Idee ganz erfüllt sein, besonders Frau Director Clemens, die offen erklärte, sie wolle den scheuen jungen Menschen, der so
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