Marie des Brebis - der reiche Klang des einfachen Lebens by Signol Christian

Marie des Brebis - der reiche Klang des einfachen Lebens by Signol Christian

Autor:Signol, Christian [Signol, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-07-13T04:00:00+00:00


8. Kapitel

1939 hatte ich geschworen, nie wieder den Fuß in eine Kirche zu setzen, wenn einem der Meinen etwas zustoßen würde, und dennoch ging ich seit Mai, seit der Friede wieder eingekehrt war, jeden Morgen dorthin. Das Vertrauen hielt wieder Einzug auf unseren Hügeln, wie nach Ende des Krieges von 1914, und die Luft, die wir atmeten, schien klarer, das Blau des Himmels blauer, der Wind milder. Außerdem hatten die Leute auf dem Land viel weniger leiden müssen als anderswo. Die meisten Einwohner der Orte und Dörfer hatten nie auch nur eine einzige deutsche Uniform gesehen. Die Bürgermeister waren nicht so häufig mit der Trikolore erschienen, um die schreckliche Nachricht vom Tode eines Sohnes oder Ehemanns zu überbringen. Nur die Monate Juni und Juli des Jahres 1944 waren verheerend gewesen, zumindest für uns. Das eigentliche Verhängnis hatte mehr den Osten getroffen, in den Lagern, von wo nur sehr wenige zurückkehrten. Mein Gott! Als ich die ersten Fotos in den Zeitungen sah, wie weh tat es mir! Ich schämte mich, am Leben geblieben zu sein, als ich die so zugerichteten Männer und Frauen sah. Lange Tage verbrachte ich allein, ohne dass ich fähig gewesen wäre, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Und der Sommer verging, wie auch der Winter, und ein neuer Frühling hielt Einzug. Immer hörte ich den Sohn, den der Krieg mir genommen hatte, zu mir sprechen, lachen; ich sah ihn am Tisch sitzen. Jede Minute spürte ich, dass es kein größeres Unglück auf der Welt gibt, als ein Kind zu verlieren. Ich hatte mich nur umso enger mit Françoise verbunden, weil ich die Lücke, die er hinterlassen hatte, füllen wollte. Ihr Blick und ihr Lächeln waren für mich so lebensnotwendig geworden wie die Luft, die ich atmete. Und da spürte ich, dass sie sich seit einiger Zeit sanft und ganz allmählich von mir entfernte, ohne dass ich auch nur irgendetwas tun konnte, um sie zurückzuhalten. Sie sprach weniger mit mir, mied manchmal plötzlich meine Gegenwart, und ich fragte mich, welchen Fehler ich wohl begangen hätte, dass ich ein solches Verhalten hervorrief. Bis September schwieg sie mit derselben Hartnäckigkeit, mit der sie alles tat, ohne jedoch wahrzunehmen, wie ich darunter litt. Ich sprach mit Florentin darüber, der ebenso ihre plötzliche Distanz bemerkt hatte; den Mut, mit Françoise selbst zu reden, fand ich jedoch nicht. Als wir eines Abends beide ganz allein waren und auf Florentin warteten, drehte sie sich abrupt zu mir um und sagte ganz aufgewühlt:

»Ich muss weg, Mama.«

Ich hatte kaum die Kraft zu fragen:

»Und wohin willst du, meine Tochter?«

»Nach Paris.«

Ich hatte etwas völlig anderes erwartet: einen Kummer, eine Krankheit; aber ich entdeckte, dass ihr Leid noch viel schrecklicher war, für sie wie für mich. Da sie sah, wie unglücklich ich war, erklärte sie mir mit sanfter Stimme, dass sie nicht ihr ganzes Leben auf unseren Höhen verbringen wollte, sondern beabsichtigte, woanders zu leben, und zwar von einem Beruf, der sie glücklich machte. Sie spürte, dass die Welt weit weg vom Hochland anders sei, lebendiger, dass sie andere Leute kennenlernen könnte, anders leben könnte als wir hier.



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