Madame Piaf und das Lied der Liebe by Michelle Marly
Autor:Michelle Marly [Marly, Michelle]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2019-02-13T22:00:00+00:00
Kapitel 17
Lyon
In den Schaukästen neben den mehrflügeligen, gläsernen Eingangstüren der Salle Rameau kündigten Plakate das bevorstehende Konzert an. Édith hatte Louis gebeten, den Veranstalter darauf hinzuweisen, dass Yves’ Name so groß wie der ihre gedruckt werden müsse. Dies geschah nicht nur, weil Yves so auf seine Popularität in Lyon gepocht hatte. Sie wollte ihrem Freund und Schüler eine Freude bereiten, ihm das Gefühl von Ebenbürtigkeit vermitteln. Auf diese Weise hoffte sie, ihm das Selbstbewusstsein zu schenken, das seiner ramponierten Künstlerseele guttat und gleichzeitig seinen Vortrag verbesserte. Doch als sie neben ihm unter dem schönen, gläsernen Jugendstilvordach des Musiktheaters stand und die Werbung betrachtete, spürte sie, wie die Zuversicht ihn verließ.
»Montant«, keuchte er. »Da steht Montant mit t.« Er zog die Schultern hoch, als würde er frösteln, was er angesichts des Fehlers vielleicht auch tat. »Und ich dachte, ich wäre kein Unbekannter in dieser Stadt.«
»Vielleicht kannte dich einfach nur der Setzer in der Druckerei nicht.«
Deprimiert schüttelte er den Kopf. »Weißt du, nicht nur der Traum, auf der Bühne zu stehen, hat mich immer begleitet. Ich wollte meinen Namen groß auf den Plakaten sehen, den Beifall des Publikums hören, immer mehr sein als nur ein kleiner Sänger.«
»Diesen Wunsch haben wir beide.« Sie drehte sich so, dass sie vor ihm stand, legte die Hände auf seine Unterarme. So tat sie es vor seinen Auftritten häufig, heute musste sie fest zugreifen, um ihn durch den dicken Wollstoff des Mantels zu fühlen. Einerseits kam sie sich hilflos vor, andererseits war sie ihm so nah, denn der Traum vom Erfolg einte sie mehr als alles andere. »Du und ich. Ich und du. Das ist unser Leben.«
»Einen großen Chansonnier schreibt man nicht mit t, wo ein d hingehört.«
Sie hakte sich bei ihm unter und zog ihn sanft von den Schaukästen fort. »Komm, Yves Montand, lass uns ins Hotel gehen und uns noch etwas ausruhen vor der Vorstellung. Heute Abend kannst du jedem zeigen, dass du dich mit d schreibst und der Star wirst, der du immer sein wolltest.«
Die Hutkrempe warf einen Schatten auf seine Augen, doch Édith erkannte, wie sie aufblitzten. »Du glaubst an mich, nicht wahr?«
»Ja. Immer noch. Und immer wieder. Daran ändert ein d nichts.«
»Ich liebe dich, Édith.«
Ihr Herz machte einen Hüpfer. Doch einen Atemzug später dämpfte sie ihre Freude über seine Worte. Er war in diesem Moment ein nach Ruhm lechzender Chansonnier, der sich allein von seiner Lehrmeisterin verstanden fühlte und dankbar dafür war, dass sie ihn aufrichtete. Woher sollte sie wissen, ob seine Liebe auch dem armseligen Mädchen von der Straße galt, das in ihr steckte? Jener kleinen Person, die als Kind keine Liebe erfahren hatte und die sich bis heute vor nichts so sehr fürchtete wie davor, sich in das Glück mit einem anderen Menschen fallen zu lassen. Sie konnte nicht abschätzen, wann Zuneigung ihr allein galt. Jedenfalls nicht, wenn sie nicht vor ihrem Publikum auf der Bühne stand, wenn es um sie als Frau, nicht als Sängerin ging. Und deshalb schmiegte sie sich nur an ihn, erwiderte jedoch nicht, dass auch sie ihn liebte.
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