Lebenslauf des heiligen Wonnebald Pück by Ricarda Huch

Lebenslauf des heiligen Wonnebald Pück by Ricarda Huch

Autor:Ricarda Huch [Huch, Ricarda]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählung
Herausgeber: Insel
veröffentlicht: 1962-12-31T23:00:00+00:00


Der alte Bernkule war, seit Lux da war, ihm alle Arbeit abgenommen und ihn gepflegt hatte, ganz in sich zusammengesunken und fing behaglich an zu sterben; in den letzten Tagen indessen, als der Bischof eben seinen großen Streich vollführt hatte, befand er sich so wohl und kräftig, daß er mit Lux und den Kindern einen großen Spaziergang unternahm, der sie weiter als sonst in die umliegenden Täler hineinführte. Auf einer Anhöhe machten sie halt, und nachdem sie einen Imbiß zu sich genommen hatten, erklärte der Alte die Namen der Gipfel, die man sehen konnte und die er in früheren Jahren manches Mal bestiegen hatte. Gerade ihnen gegenüber befanden sich auf einem verödeten Hügel die Ruinen einer Burg, an einigen Stellen so niedrig und verbröckelt, daß das Gras darüber hinauswuchs, während an andern das Gemäuer noch die einstigen Formen erkennen ließ. Christoph Bernkule erzählte alte Überlieferungen, die sich daran knüpften, und fügte hinzu, daß er als Kind hätte sagen hören, es töne zuweilen bei Abend- oder Nachtzeit eine süße Musik aus den verfallenen Mauern, deren Ursprung nie habe erkundet werden können; denn sooft einer sie gehört und neugierig zwischen den Trümmern nachgespürt habe, sei sie verstummt und nie etwas andres zu finden gewesen als etwa eine zirpende Grille oder ein weinendes Käuzchen.

Lisutt blieb eine Weile still und in sich gekehrt, so daß nicht zu erkennen war, ob sie die Erzählung des Großvaters verstanden hatte, plötzlich aber richtete sie die Augen groß und heiter auf ihn, sagte: »Ich höre die Musik!« und blickte dann wieder fest auf das Gemäuer, hinter dem, durch unregelmäßige Lücken sichtbar, das Feuer der untergehenden Sonne brannte. Während der alte Bernkule lächelte, sah Brun ernst und fast traurig auf die Kleine, der das wunderbare Tönen aufgegangen war, und auch der alte Mann konnte sich der Neugierde und Bewunderung nicht enthalten, wie sie die runden Arme mit einer kleinen, unbewußten Bewegung hin und her zu wiegen begann, gerade als ob sie zu einer die Seele durchdringenden Musik den Takt angeben wollte. Lux lag ein wenig abseits im Moose und horchte halb auf das Gespräch der andern, halb in sich hinein, wo der Nachhall der Schwüre ihres Geliebten weiterlebte, die er, sowie sie einen Zweifel an seiner Beständigkeit oder an ihrer gemeinsamen Zukunft merken ließ, nicht müde wurde zu wiederholen: daß die Kraft der Liebe sein Herz und seinen Willen gehärtet habe, so daß weder Zwang noch Bitten ihn würden biegen können, daß ihre Armut ihn beglücke, weil er, ein Bettler vor der Fülle ihres Wesens, dadurch doch auch einmal, wenn auch nur in vergänglichen und neben sächlichen Dingen, reich sein und ihr schenken könne, daß er lieber Fluch, Verbannung, Elend und das ewige Brennen der Hölle mit ihr teilen wolle, als entblößt von ihrer Nähe und Liebe die schauerliche Langeweile des Lebens ertragen. Auf einer unfaßbaren Melodie durchfluteten sie solche Worte, Minuten wie Stunden erfüllend und verzehrend, so daß sie die Flucht der Zeit nicht bemerkte. Auch der Alte saß selbstvergessen da, aus den verglimmenden Äuglein auf das Kind blinzelnd und zuweilen bewußtlos in sich hineinlachend.



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