Lebens-Mittel by Pollan Michael

Lebens-Mittel by Pollan Michael

Autor:Pollan, Michael
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-04-03T16:00:00+00:00


4) Von den Blättern zu den Samen

Es ist kein Zufall, dass die kleine Handvoll Pflanzen, auf die wir inzwischen bauen, Getreide sind (Soja ist ein Gemüse); diese Nutzpflanzen wandeln das Sonnenlicht, den Dünger, Luft und Wasser besonders effizient in Makronährstoffe um – in Kohlenhydrate, Fette und Proteine. Diese Makronährstoffe wiederum lassen sich gewinnbringend in Fleisch, Milchprodukte und weiterverarbeitete Nahrungsmittel aller Art transformieren. Weil die genannten Gewächse haltbare Samen haben, die lange lagerfähig bleiben, leisten sie verarbeitet und unverarbeitet gute Dienste und sind deshalb an die Bedürfnisse des industriellen Kapitalismus besonders gut angepasst.

Der menschliche Esser jedoch hat ganz andere Bedürfnisse. Eine Überversorgung mit Makronährstoffen wie die, mit der wir es heute zu tun haben, stellt schon an sich eine ernsthafte Bedrohung unserer Gesundheit dar – die hochschnellenden Zahlen für Fettleibigkeit und Diabetes zeigen es. Aber wie die Forschungen von Bruce Ames und anderen nahelegen, könnte die Unterversorgung mit Mikronährstoffen ein genauso gravierendes Problem sein. Simpel formuliert: Wir essen wesentlich mehr Samen und wesentlich weniger Blätter (die Tiere, die wir essen, übrigens auch) – eine Verschiebung der Ernährungstektonik, deren Auswirkungen wir erst jetzt ansatzweise verstehen. Um noch einmal das reduktionistische Vokabular der Wissenschaft zu bemühen, die sich auf die Nährstoffe konzentriert: Blätter liefern eine ganze Reihe entscheidender Nährstoffe, die eine aus raffinierten Samen bestehende Nahrung dem Körper nicht geben kann: Antioxidanzien und sekundäre Pflanzenstoffe, Ballaststoffe und die essenziellen Omega-3-Fettsäuren in den Blättern, die sich, wie manche Forscher glauben, als der wichtigste fehlende Nährstoff von allen erweisen könnten.

Die meisten Menschen assoziieren Omega-3-Fettsäuren mit Fisch, aber die Fische bekommen sie im Allgemeinen von grünen Pflanzen (insbesondere Algen); sie sind die Ausgangssubstanz. 26 Pflanzenblätter produzieren diese essenziellen Fettsäuren (essenziell deshalb, weil unser Körper sie nicht selbst herstellen kann) als Teil der Fotosynthese; sie besetzen die Zellmembranen der Chloroplasten und helfen ihnen, das Sonnenlicht zu sammeln. Bei den Samen überwiegt eine andere Fettsäuren-Art, die Omega-6-Fettsäuren, die als Energiespeicher für den sich entwickelnden Keimling dienen. Diese beiden Arten mehrfach ungesättigter Fette erfüllen in der Pflanze – und im Pflanzenesser – ganz unterschiedliche Aufgaben. Bei der folgenden Beschreibung ihrer jeweiligen Rollen habe ich die chemischen Prozesse leicht vereinfacht. Eine vollständigere (und faszinierende) Darstellung der Biochemie dieser Fette und ihre Entdeckungsgeschichte finden Sie in The Queen of Fats von Susan Allport. 27

Die Omega-3-Fettsäuren scheinen eine wichtige Rolle zu spielen für die neurologische Entwicklung und Verarbeitung (die höchsten Omega-3-Konzentrationen finden sich beim Menschen in den Geweben von Gehirn und Augen), für die Sehschärfe (was ihrer Rolle bei der Fotosynthese entspricht) und für die Durchlässigkeit der Zellwände, den Glucosestoffwechsel und die Entzündungslinderung. Omega-6-Fettsäuren sind an der Fettspeicherung beteiligt (eine Funktion, die sie auch bei der Pflanze wahrnehmen); an der Zellwandstabilität; an der Blutgerinnung und an der Entzündungsreaktion. Es hilft, wenn Sie sich die Omega-3-Fettsäuren als schnell und beweglich, die Omega-6-Fettsäuren als massig und langsam vorstellen. Weil die beiden Fettsäuren um Platz in den Zellwänden und um die Aufmerksamkeit verschiedener Enzyme konkurrieren, ist das Verhältnis zwischen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren in der Ernährung und also in unseren Geweben möglicherweise wichtiger als ihre absolute Menge.



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