Klingsors letzter Sommer by Hermann Hesse

Klingsors letzter Sommer by Hermann Hesse

Autor:Hermann Hesse [Hesse, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Noch eine Stunde, oh, weniger, dann war

Schluß, die Nacht kam, und morgen be-

gann schon der August, der brennende Fie-

bermonat, der so viel Todesfurcht und

Bangnis in seine glühenden Becher mischt.

Die Sense war geschärft, die Tage neigten

sich, der Tod lachte versteckt im bräunen-

den Laub. Klinge hell und schmettre, Kad-

mium! Prahle laut, üppiger Krapplack! La-

che grell, Zitronengelb! Her mit dir, tief-

blauer Berg der Ferne! An mein Herz ihr,

staubgrüne matte Bäume! Wie seid ihr

müd, wie laßt ihr ergebene fromme Äste

sinken! Ich trinke euch, holde Erscheinun-

gen! Ich täusche euch Dauer und Unsterb-

lichkeit vor, ich, der Vergänglichste, der

Ungläubigste, der Traurigste, der mehr als

ihr alle an der Angst vor dem Tode leidet.

Juli ist verbrannt, August wird schnell ver-

brannt sein, plötzlich fröstelt uns aus gel-

bem Laub am betauten Morgen das große

Gespenst entgegen. Plötzlich fegt Novem-

ber über den Wald. Plötzlich lacht das

große Gespenst, plötzlich friert uns das

Herz, plötzlich fällt uns das liebe rosige

Fleisch von den Knochen, in der Wüste

heult der Schakal, heiser singt sein ver-

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fluchtes Lied der Aasgeier. Ein verfluchtes

Blatt der Großstadt bringt mein Bild, und

darunter steht: »Vortrefflicher Maler, Ex-

pressionist, großer Kolorist, starb am sech-

zehnten dieses Monats.«

Voll Haß riß er eine Furche Pariserblau

unter den grünen Zigeunerwagen. Voll Er-

bitterung schlug er die Kante Chromgelb

auf die Prellsteine. Voll tiefer Verzweif-

lung setzte er Zinnober in einen ausgespar-

ten Fleck, vertilgte das fordernde Weiß,

kämpfte blutend um Fortdauer, schrie hell-

grün und neapelgelb zum unerbittlichen

Gott. Stöhnend warf er mehr Blau in das

fade Staubgrün, flehend zündete er inni-

gere Lichter im Abendhimmel an. Die

kleine Palette voll reiner, unvermischter

Farben von hellster Leuchtkraft, sie war

sein Trost, sein Turm, sein Arsenal, sein

Gebetbuch, seine Kanone, aus der er nach

dem bößen Tode schoß. Purpur war Leug-

nung des Todes, Zinnober war Verhöhnen

der Verwesung. Gut war sein Arsenal,

glänzend stand seine kleine tapfere Truppe,

strahlend läuteten die raschen Schüsse sei-

ner Kanonen auf. Es half ja nichts, alles

Schießen war ja vergebens, aber Schießen

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war doch gut, war Glück und Trost, war

noch Leben, war noch Triumphieren.

Thu Fu war gegangen, einen Freund zu

besuchen, der dort zwischen Fabrik und

Ladeplatz seine Zauberburg bewohnte.

Nun kam er und brachte ihn mit, den ar-

menischen Sterndeuter.

Klingsor, mit dem Bilde fertig, atmete tief

auf, als er die beiden Gesichter bei sich sah,

das blonde gute Haar Thu Fus, den

schwarzen Bart und den mit weißen Zäh-

nen lächelnden Mund des Magiers. Und da

kam mit ihnen auch der Schatten, der

lange, dunkle, mit den weit zurückgeflohe-

nen Augen in den tiefen Höhlen. Willkom-

men auch du, Schatten, lieber Kerl!

«Weißt du, was für ein Tag heut ist?« fragte

Klingsor seinen Freund.

»Der letzte Juli, ich weiß.«

»Ich stellte heut ein Horoskop«, sagte der

Armenier, »und da sah ich, daß dieser

Abend mir etwas bringen wird. Saturn

steht unheimlich, Mars neutral, Jupiter do-

miniert. Li Tai Pe, sind Sie nicht ein Juli-

kind?«

»Ich bin am zweiten Juli geboren.«

»Ich dachte es. Ihre Sterne stehen verwirrt,

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Freund, nur Sie selbst können sie deuten.

Fruchtbarkeit umgibt Sie wie eine Wolke,

die nahe am Bersten ist. Seltsam stehen Ihre

Sterne, Klingsor, Sie müssen es fühlen.«

Li packte sein Gerät zusammen. Erloschen

war die Welt, die er gemalt hatte, erloschen

der gelb und grüne Himmel, ertrunken die

blaue helle Fahne, ermordet und verwelkt

das schöne Gelb. Er war hungrig und dur-

stig, die Kehle hing ihm voll Staub.

»Freunde«, sagte er herzlich, »wir wollen

diesen Abend beisammen bleiben.



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