Jack Holborn by Leon Garfield

Jack Holborn by Leon Garfield

Autor:Leon Garfield
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2010-11-22T23:00:00+00:00


fahr’ ich auch tausend Meilen oder mehr.

XV

Er war also weg. Zwei oder vielleicht drei Tage lang konnte ich es nicht glauben. Es schien nicht denkbar, daß er nicht direkt hinter mir war – oder vor mir – und mit Mister Morris sprach … oder sonstwo: nur gerade außer Sicht – für den Augenblick entrückt …

»Wenn ich nur bis Hundert zählen kann, ohne mich umzudrehen«, versprach ich mir hoffnungslos, »dann ist er zurück. Und dann, wenn ich die Hundert erreichte, wagte ich mich nicht umzudrehen und zählte weiter bis zur nächsten Hundert – und verfluchte mich, weil ich zu lange wartete.«

So trieb ich mich die ersten drei Tage voran, hielt mich davon ab, Mister Morris und Mister Trumpet zu verlassen und zurück in den Wald zu flüchten, um zu finden, wo er lag, meine Hand auf sein stilles Herz und mein Ohr auf seine stummen Lippen zu legen – und zu fragen, wohin sein Versprechen und mein Geheimnis entschwunden seien.

Tausend Vorwände fand ich, um den kleinen Meister, der unbarmherzig vorwärtsstapfte, zu verlangsamen: mein Fuß war verstaucht, ein Stechen in der Seite, ich war zu Tode erschöpft und konnte nicht weiter, ich hatte etwas gehört – etwas gesehen – der Teufel wußte was! – wir mußten unbedingt anhalten.

»Halten Sie doch an, Mister Morris, Sir. Um Himmels willen, halten Sie doch wenigstens für fünf Minuten!«

Aber er tat es nicht. Er wußte sehr genau, warum ich bat. Daher begann ich ihn zu hassen, weil er zwischen mich und den Wunsch meines Herzens trat: und der grausige Kampf zwischen uns zog und streckte sich über verzweifelte Tage, nahm mit der Sonne zu und mit der Nacht ab – wenn selbst er ruhen mußte. Dann saß er da, ein Klumpen Stacheln und Entschlossenheit, und starrte auf seinen Kompaß, der seine Seele zu enthalten schien, und danach hinauf ins Dunkel, das wir am nächsten Morgen durchstoßen mußten.

Es war, glaube ich, am vierten Tag, daß ich das Zählen aufgab und damit einen großen Teil meiner Hoffnung. Danach begnügte ich mich, Mister Morris mit verbissener Erbitterung zu folgen, und fand, daß er langsam vorwärtskam. Nicht um alles in der Welt wäre ich an jenen Tagen zurückgegangen oder zurückgefallen. Ich wollte nichts anderes, als diesem üblen Wald und seinem unendlichen, endlosen Grün entkommen.

Daher war nun Mister Trumpet an der Reihe, ein langsameres Tempo zu fordern – da er noch nicht völlig genesen war –, obwohl er sein unveränderliches Lied so laut sang, wie er konnte.

»Spar dir den Atem fürs Gehen«, knurrte Mister Morris, aber Mister Trumpet sang weiter, und immer, wenn seine angenehme Stimme zwischen den Bäumen verklang, zog der Ausdruck angestrengten Lauschens über sein Gesicht. Dann lächelte er mir zu, als wolle er sich für eine Schwäche entschuldigen …

Seltsam, wie freundlich und großmütig Mister Trumpet auf einmal geworden war: denn er war großmütig Mister Morris gegenüber, indem er seiner harten Übellaunigkeit nachgab und ihn nie erzürnte. Er schien sich zu erweichen, während sich der andere verhärtete, als könne seine Großmut nur angesichts der Bosheit florieren und seine Freundlichkeit angesichts der Grausamkeit.



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